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TEILHABE ERMÖGLICHEN. TRANSFORMATION GESTALTEN. ZUKUNFT SICHERN.Die Position der Diakonie Bayern zur Landtagswahl 2023
Die Krisen der vergangenen Jahre haben deutlich gemacht, wie fragil und brüchig die Systeme in Deutschland, aber auch die individuellen Lebensentwürfe sind. Gleichzeitig haben sie gezeigt, wie notwendig ein funktionierender Sozialstaat auf allen Ebenen ist. Dies gilt auch für die Herausforderungen jenseits internationaler Krisen oder pandemischer Entwicklungen: Die Transformation von der Dienstleistungs- hin zu einer Wissensgesellschaft kennt nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer, die zurückgelassen zu werden drohen. Die Privatisierung von Lebensrisiken etwa oder das Ausrichten gesellschaftlicher Prozesse an den Interessen der Märkte macht einen Einsatz für jene notwendig, die von diesen Entwicklungen nicht profitieren können.
Nur durch die Stärkung des Sozialstaats und einer Sozialpolitik, die am Menschen ausgerichtet ist, kann es gelingen, das bisher Erreichte - auch in einem weltpolitisch schwierigen Umfeld - zu erhalten bzw. im Interesse der Menschen in Bayern weiter auszubauen.
Teilhabe ermöglichenDie Diakonie Bayern fordert:
Erfolgreiche Sozialpolitik leistet mehr als die reine Daseinsvorsorge. Sie ermöglicht Teilhabe, eröffnet neue Chancen und zeigt Perspektiven auf.
Familienpolitische Leistungen sind ein wesentlicher Baustein der Sozialpolitik im Freistaat. Zusammen mit den Leistungen auf Bundesebene ergibt sich jedoch eine Ansammlung an Leistungen, die kaum verständlich und nicht immer sozial gerecht ist.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
Der Freistaat setzt sich dafür ein, dass Unterstützungsleistungen des Bundes für Familien zusammengefasst und bedarfsgerechter verteilt werden sowie der Zugang zu ihnen erleichtert wird.
Die Einführung der Kindergrundsicherung auf Bundesbene wird vorangetrieben.
Die familienpolitischen Leistungen im Freistaat werden überprüft und angepasst.
Armut und Armutsgefährdung ist ein Phänomen, das durch die Energiekrise sowie die steigende Inflation der vergangenen Monate zusätzlich an Brisanz gewonnen hat. Immer mehr Menschen drohen trotz eines regelmäßigen Einkommens unter die Armutsgrenze zu rutschen und sind auf zusätzliche staatliche Transferleistungen sowie auf bürgerschaft-liches Engagment (Tafeln, Kleiderkammern etc.) angewiesen.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
Die Situation der von Armut und Arbeitslosigkeit Betroffener wird auch in der politischen Debatte anerkannt, und das ohne verbale Stigmatisierung.
Neben angemessenen Unterstützungsangeboten – insbesondere zur sozialen Teilhabe – wird der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum auch in Balungsräumen ermöglicht.
Entsprechende Bauvorhaben bzw. Maßnahmen im Bestand werden besonders unterstützt und gefördert.
Trotz einer aktivierenden Arbeits-marktpolitik wird es auch zukünftig Menschen geben, die aus unterschiedlichen Gründen nicht am ersten Arbeitsmarkt teilhaben können. Ein „Sozialer Arbeitsmarkt“ nach dem SGB II kann hier Abhilfe schaffen, Teilhabe ermöglichen und teilweise Kosten reduzieren.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
Öffentlich geförderte Beschäftigung wird nicht als Konkurrenz zum ersten Arbeitsmarkt, sondern als Teil einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik verstanden, die Teilhabe ermöglicht, und darum entsprechend politisch und finanziell unterstützt sowie in der öffentlichen Debatte gefördert wird.
Bestehende Modelle wie Beschäftigungsinitiativen nach §16i SGB II bleiben erhalten.
Flucht- und Migrationsbewegungen sind auch das Ergebnis der Politik westlicher Industrienationen. Sie werden weder kurz- noch mittelfristig durch die Veränderung der Situation in den Herkunftsländern eingedämmt werden, sondern weiterhin Teil des politischen Alltags sein. Aufgrund der eigenen Verantwortung für die Ursachen, aufgrund internationaler Abkommen und Gesetze und nicht zuletzt aus christlich-humanitären Grundsätzen muss die restriktive Flucht- und Migrationspolitik beendet werden.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
Die Ankerzentren werden aufgegeben.
Die Begleitung und Beratung der Menschen mit Migrationshintergrund und/oder Fluchterfahrung ist sichergestellt und zukunftsfest finanziert.
Den Betroffenen wird der Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt erleichtert und verlässliche Perspektiven eröffnet.
Die digitale Transformation umfasst mittlerweile alle Lebensbereiche. Vom damit verbundenen Versprechen der Vereinfachung von Prozessen, der leichteren Zugänglichkeit von Dienstleistungen und der besseren Partizipationsmöglichkeit an Diskursen profitieren jedoch nicht alle. Mangelndes Wissen, eine fehlende technische Ausstattung sowie eine lückenhafte Infrastruktur stehen dem im Wege.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
Der Zugang zu digital verfügbaren Informationen wird erleichtert. Dazu gehören Bildungsangebote für Menschen mit Kompetenzdefiziten ebenso wie für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrungen.
Schulen und Bildungseinrichtungen werden mit entsprechenden Geräten auch für von Armut Betroffene ausgestattet; ein freies WLAN-Angebot ist flächendeckend vorhanden.
Transformation gestaltenDie Diakonie in Bayern fordert:
Erfolgreiche Sozialpolitik verwaltet nicht nur das Bestehende. Sie verändert sich, reagiert auf neue Herausforderungen und gestaltet die Zukunft aktiv mit. Dabei bezieht sie alle Beteiligten und Akteure mit ein.
Der Bedarf an Fachkräften für die so-ziale Arbeit ist seit Jahren steigend; die zugrundeliegende Entwicklung ist bereits seit Jahrzehnten bekannt und erwartet. Die unzureichende Reaktion der Politik und die weiter-hin schlechten Rahmenbedingungen haben bereits in vielen Arbeitsbe-reichen zu einem Personalmangel geführt, der die Einrichtungen an den Rand der Existenz gebracht und emp-findliche Versorgungslücken sichtbar gemacht hat. Der Rechtsanspruch für Familien auf Ganztagsbetreuung, Corona und die Abwanderung von Arbeitskräften in andere Branchen – zum Teil lange absehbare Entwick-lungen – lassen den schon über Jahre offensichtlichen Fachkräftebedarf zu einem gesellschaftlichen Brandthe-ma anwachsen. Bayern muss hier handeln, um die gesellschaftlichen Entwicklungen auch zukünftig mitge-stalten zu können.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
- Soziale Berufe – insbesondere pflegerische sowie Erziehungsberufe – werden in ihrer existenziellen Bedeutung gesellschaftspolitisch anerkannt.
- Die Ausbildung und Weiterbildung zur Fachkraft wird angemessen refinanziert; dazu gehört auch eine angemessene Vergütung der jeweiligen Tätigkeiten durch die Kostenträger und die Anerkennung kirchlich-diakonischer Tarife in den Kostenverhandlungen.
- Die Ausbildung sozialer Berufe wird so gestaltet, dass ein Wechsel durch modulare Zusatzqualifikationen erleichtert wird.
- Es werden Studiengänge (zur Sozialen Arbeit) dadurch attraktiv gemacht, dass flächendeckend duale Studiengänge an staatlichen Hochschulen eingeführt werden.
Die Pflege erfährt die seit vielen Jahren prognostizierten Veränderungen: Ein massiv steigender Bedarf an Pflegeplätzen bei einem vom Fachkräftemangel geprägten Arbeitsmarkt führt zu wachsenden Versorgungsproblemen, die auch nicht durch ambulante Dienste bzw. das Engagement der Angehörigen kompensiert werden können. Gleichzeitig ist die Situation in der Pflege kein Problem, das einzig auf Ebene der Bundesländer gelöst werden kann.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
- Die Pflege bleibt als Megathema auf der politischen Agenda sowohl der Landes- als auch der Bundespolitik. Wo möglich, setzt sich der Freistaat für eine Reform der Pflegeversicherung (Sockel-/Spitzetausch) ein.
- Auf Landesebene setzt sich der Freistaat für Stärkung bestehender und den Ausbau neuer Angebote ein. Dies beginnt bei der Mitarbeitendengewinnung über die auskömmliche Finanzierung der Ausbildungseinrichtungen bis hin zur Schaffung angemessener Rahmenbedingungen in der Pflege sowie der Einführung neuer Modelle („Springerkonzepte“).
- Die Anerkennungsverfahren für im Ausland erworbene Abschlüsse werden vereinfacht und beschleunigt.
- Die Abwanderung von Mitarbeitenden in andere Branchen wird durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen gestoppt.
- Die Zeitarbeit in der Pflege wird eingeschränkt bzw. die abrechenbaren Kosten werden gedeckelt.
Auch die Sozialwirtschaft kann und will von der Digitalisierung profitieren. Vereinfachte Prozesse und die Reduktion von Verwaltungs- und Dokumentationskosten sind bereits in vielen Einrichtungen zu beobachten. Eine lückenhafte Infrastruktur, heterogene Systeme und eine – finanziell bedingt – zeitlich verzögerte Umsetzung digitaler Innovationen verhindern jedoch die mit der Digitalisierung verbundenen Vorteile an vielen Stellen. Die sich abzeichnenden politischen Veränderungen (digitalisierte Nachweis- und Abrechnungsmodelle) machen zusätzliche Investitionen notwendig.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
- Als Teil der Daseinsvorsorge in Bayern wird die Notwendigkeit der digitalen Transformation in der Sozialwirtschaft von der Politik anerkannt und entsprechend gefördert.
- Entsprechende Programme ermöglichen auch kleinen Trägern mit geringen Eigenmitteln die Einführung neuer Technologien.
- Die Schulung von Mitarbeitenden wird refinanziert.
Die Träger sozialer Dienste verändern sich kontinuierlich – aufgrund sich verändernder Herausforderungen, aber auch wegen neuer politischer Vorgaben. Dazu zählt auch die Konversion von Komplexträgern im Bereich der Behindertenhilfe. Die Umwandlung von großen Einrich-tungen hin zu kleinen, agilen und unabhängigeren Einheiten ist nicht nur politisch gewollt, sondern auch im Interesse der dort wohnenden Menschen.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
- Die Konversion der Komplexeinrichtungen wird nicht nur als politisches Ziel formuliert, sondern die Umsetzung dieses Ziels wird finanziell ausreichend unterstützt und gefördert.
Die zukünftigen Herausforderungen sind nur durch eine aktive und ge-staltende Einwanderungspolitik zu bewältigen. Ausländische Fach-kräfte sind nicht nur Impulsgeber für Innovation und elementar für die Zukunftssicherung des Standorts Deutschland. Sie sind auch existen-ziell für den Fortbestand sozialer An-gebote im Freistaat.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
- Die strikte Haltung gegenüber ausländischen Abschlüssen wird aufgegeben. Ausländischen Fachkräften wird der Zugang zum Arbeitsmarkt auch in der Sozialwirtschaft erleichtert und die entsprechenden Zugangsprozesse werden vereinfacht.4
- Interessenten stehen Beratungs-und Unterstützungsangebote zur Verfügung.
Zukunft sichernDie Diakonie Bayern fordert:
Erfolgreiche Sozialpolitik orientiert sich nicht einzig an den Herausforderungen der Gegenwart. Sie erkennt neue Probleme frühzeitig und arbeitet an Lösungen, die über die eigene Zeit hinausweisen, wissend, dass sie auch eine Verantwortung für die Zukunft hat.
Die Rolle der sozialpolitischen Akteure im Freistaat wird weiterhin anerkannt, ihre Bedeutung gewürdigt und ihre Arbeit unterstützt. Mit über 450.000 Mitarbeitenden, davon allein etwa 100.000 bei der Diakonie in Bayern, ist die soziale Arbeit ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor in vielen Regionen.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
- Durch das Bekenntnis zum Subsidiaritätsprinzip und nicht zuletzt durch finanzielle Unterstützung wird dies durch die Politik auch zukünftig deutlich gemacht.
Die Verbände und ihre Mitgliedsein-richtungen sind durch ihre tägliche Arbeit nicht nur ein Garant des Aus-gleichs und des sozialen Friedens im Land. Sie bringen zum Teil erhebliche Eigenmittel auf, um Angebote zu rea-lisieren, die tatsächlich der Daseinsvorsorge dienen. Sie übernehmen damit – im Sinne der Subsidiarität – nicht nur Aufgaben der öffentlichen Hand, sondern werden auch gezwungen, diese anteilig zu finanzieren.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
- Die Maxime des Eigenmittelanteils in vielen Bereichen der sozialen Arbeit wird aufgelöst. Dies gilt insbesondere für gesetzliche Leistungen.
- In einem ersten Schritt werden die Sachkosten als vollständig förderfähig anerkannt. Pauschalen werden zukünftig automatisch der Inflation angepasst; steigende Personal- und Energiekosten werden angemessen berücksichtigt.
Mit den Verbänden und ihren Einrichtungen verfügt die Sozialpolitik in Bayern über Ansprechpartner:innen, die in den jeweiligen Arbeitsfeldern die Expertise von zum Teil über einhundertjähriger Tätigkeit einbringen können. Das politische Geschehen der vergangenen Jahre hat mehrfach gezeigt, dass eine Politik ohne diese Expertise zu unnötigen Verwerfungen und Fehlentscheidungen führt.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
- Die Verbände der Wohlfahrt werden als Experten anerkannt und frühzeitig in die politischen Entscheidungsprozesse eingebunden, um später eine angemessene Umsetzung politischer Entscheidungen zu ermöglichen.
Die Klimakrise macht auch vor der Sozialwirtschaft nicht halt. Steigende Energiepreise gefährden die Existenz vieler Einrichtungen, die bauliche und ökologische Vorgaben einhalten und dafür zum Teil kostenintensive bauliche Anpassungen vornehmen müssen. Die energetische Sanierung und die Nutzung alternativer Energien ist darum auch ein Beitrag zur Sicherung der Zukunft.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:
- Die damit verbundenen Belastungen werden von der Politik anerkannt – ideell ebenso wie finanziell, und zwar sowohl für zukünftige Baumaßnahmen als auch für Veränderungen im Bestand.