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Seit über 70 Jahren gibt es die verfasste Diakonie in ihrer heutigen Form: als Diakonisches Werk vor Ort, als Landesverband, wie die Diakonie Bayern einer ist und schließlich - etwas jünger - als Bundesverband, der Diakonie Deutschland.
Tatsächlich aber ist die Diakonie viel älter: Bereits 1848 entstand, auf Anregung des Hamburger Pfarrers Johann Hinrich Wichern, die „Innere Mission". Er wollte Armut und Verelendung in den Großstädten bekämpfen und gleichzeitig die Menschen für Glaube und Kirche gewinnen – nicht zuletzt in Abgrenzung zur Arbeiterbewegung. In Bayern gilt der fränkische Pfarrer Wilhelm Löhe (1808-1872) als wichtigster Gründervater der Diakonie. Bis heute führen sowohl der Landesverband der bayerischen Diakonie als auch einige Träger den Begriff „Innere Mission" in ihrem Namen bzw. ihren Satzungen.
Im Zentrum diakonischen Handelns stehen zunächst Kinder und Jugendliche, später auch kranke, alte und behinderte Menschen. Die erste Einrichtung entsteht 1824 in Nürnberg. 1854 und 1855 werden in Neuendettelsau und in Augsburg zwei Diakonissen-Mutterhäuser gegründet. Die Diakonissen, die in Gemeinden, Krankenhäusern und Erziehungseinrichtungen arbeiten, prägen das diakonische Arbeiten in Bayern für viele Jahrzehnte.
Erst 1886 wird in Nürnberg der „Landesverein für Innere Mission“ gegründet, aus dem die „Landesdiakonenanstalt" hervorgeht. Sie zieht 1905 von Nürnberg nach Rummelsberg. Mit dem Diakon entsteht das männliche Gegenstück zur Diakonisse. Alle diese Aktivitäten sind auf Vereinseben organisiert, haben also mit der Kirche formell nichts zu tun, auch wenn immer Pfarrer an der Spitze der Vereine stehen.
In der Weimarer Republik blüht die diakonische Arbeit auch in Bayern, obwohl ihre Funktionäre dem demokratischen Staat skeptisch gegenüberstehen. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wird im evangelischen Bayern mit großen Hoffnungen und Erwartungen verknüpft. Die Ernüchterung folgt allerdings schnell. Bald unterstellen sich die Einrichtungen aus Sorge vor Enteignung und „Gleichschaltung" der bayerischen Landeskirche. In die NS-Krankenmorde, die ab 1941 stattfinden, sind auch bayerische Häuser verstrickt.
Um der Not und dem Elend nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu begegnen, gründet die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 1945 das „Evangelische Hilfswerk" als Ergänzung zu den bestehenden diakonischen Angeboten. In Bayern wird es von Anfang an fest in die Innere Mission integriert. 1948 wird hier der „Landesverband für Innere Mission“ ins Leben gerufen, der später seinen Namen ändert und zum „Diakonischen Werk Bayern“ wird.
Für Wichern und Löhe war die „Innere Mission" die Verkörperung der Liebe Christi zu den Menschen, das Werkzeug der christlichen Nächstenliebe. Damit ist sie bis heute auch Lebens- und Wesensäußerung der Kirche: Diakonie ist handelnder Glaube.
Die Geschichte der Diakonie Bayern
Das Diakonische Werk Bayern ist einer der größten Arbeitgeber im Freistaat. 96.000 Menschen arbeiten für die Diakonie in mehr als 3.000 Einrichtungen. Weitere 30.000 sind ehrenamtlich aktiv. Die Arbeitsfelder sind breit gefächert und erstrecken sich über die Bereiche der Pflege, Pädagogik, Sozialen Arbeit bis hin zu Einsatzbereichen in der Theologie, Verwaltung und Informationstechnik.
Die sozialen Angebote der Diakonie sind ebenso vielfältig und umfassen alle Bereiche des Lebens: Sie reichen von seinem Beginn – etwa in der Schwangerschaftsberatung – bis zu seinem Ende durch Angebote der Altenhilfe und Hospizarbeit. Auch Kinder und Jugendliche in den unterschiedlichen pädagogischen Einrichtungen stehen im Mittelpunkt der diakonischen Arbeit. Ebenfalls finden Menschen mit Behinderung und Menschen mit Migrationshintergrund bei der Diakonie Rat und Hilfe in den zahlreichen Beratungsdiensten. Insgesamt ist die Diakonie in mehr als 100 Arbeitsfeldern aktiv.
Als starker sozialpolitischer Verband setzt sie sich für die Belange und Teilhabe von Menschen ein.
Die Diakonie ist die soziale Arbeit der evangelischen Kirche. Das Wort Diakonie bedeutet „Dienst am Menschen“ (altgriechisch ,diakonia‘ = Dienst) und bezeichnet ein Handeln aus christlicher Nächstenliebe, das in vielen Aufgabenfeldern und zum Wohl der Menschen erfolgt. Praktisch heißt das: den Menschen achten und wertschätzen, unabhängig von seinem Alter, seiner Gesundheit, seinem Geschlecht und seiner Herkunft.
Das Kronenkreuz ist das Zeichen der Diakonie. Richard Boeland entwarf das Kronenkreuz 1925 als Zeichen für die Innere Mission. Er verband darin die beiden Anfangsbuchstaben I und M in künstlerischer Form. Mit diesem Signet war die damalige Innere Mission eine der ersten kirchlichen Einrichtungen mit einem einheitlichen Erscheinungsbild. Die Bezeichnung ,Kronenkreuz‘ erhielt es erst später. Bis heute wird das Kronenkreuz als Zeichen der Ermutigung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesehen. Langjährige verdiente Mitarbeiter*innen werden mit dem „goldenen Kronenkreuz“ in Form einer Brosche für Frauen bzw. einer Nadel für Männer ausgezeichnet.
„Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“ (Epheser 5,14)
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts prägen verschiedene Strömungen die evangelische Kirche. Neben Pietismus und Aufklärung spielt dabei die sogenannte Erweckungsbewegung für die Entstehung der „Inneren Mission“ eine entscheidende Rolle. Sie betont eine praktisch ausgerichtete, christliche Lebenshaltung. Eine zentrale Bedeutung spielen hierbei der christliche Glaube und die Botschaft der Bibel, zu denen sich der Mensch wieder bewusst und aus voller Überzeugung bekennen soll.
Wichtige Gründerväter der Diakonie in Deutschland sind neben Wichern der Begründer des Diakonissenwesens, Theodor Fliedner (1800-1864) in Kaiserswerth bei Düsseldorf und, eine Generation später, Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910) in Bethel bei Bielefeld.
Der Aktionismus der Erweckungsbewegung gipfelt schließlich im Aufblühen eines neuen karitativen Bewusstseins: Not und Armut werden nicht mehr als gottgegebenes Schicksal verstanden, sondern als Folge sozialer Probleme und gesellschaftlicher Veränderungen. Allerdings verfolgen die kirchlichen Sozialreformer einen konservativ-staatstreuen Kurs und grenzen sich scharf gegen die Arbeiterbewegung ab: Grundlegende gesellschaftliche Veränderungen lehnen sie als „revolutionär“ strikt ab.
Auch in Bayern entstehen nun Einrichtungen, die sich besonders um sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche kümmern. So wird 1824 in Nürnberg von Karl von Raumer (1783 – 1865) das erste ,,Rettungshaus für Knaben“ ins Leben gerufen. Im selben Jahr erhalten auch die Mädchen entsprechende Hilfe, als in Erlangen eine Erziehungsanstalt vom Frauen- und Jungfrauenverein gegründet wird. Raumers Rettungshaus besteht bis in die 1920er Jahre als „Erziehungsanstalt Veilhof“ und zieht dann auf den Auhof bei Hilpoltstein.
„Jede Arbeit soll zuerst mit dem Herzen, dann mit den Händen oder mit der Zunge geschehen.” Johann Hinrich Wichern
Das Revolutionsjahr 1848 gilt als „Geburtsstunde“ der organisierten Diakonie mit Trägern, Einrichtungen und Fachkräften. Der aus einfachen, aber frommen Verhältnissen stammende Hamburger Theologe Johann Hinrich Wichern (1808 – 1881) regt auf dem Evangelischen Kirchentag in Wittenberg die Einrichtung eines zentralen Ausschusses für Innere Mission an, der den Vorläufer des heutigen Diakonischen Werkes bildet. Die ,Innere Mission‘ ist für Wichern „das Bekenntnis des Glaubens durch die Tat der rettenden Liebe“. Dabei fühlt er sich vor allem dem Grundsatz ,,Helfen aus christlicher Verantwortung“ verpflichtet.
Auch praktische Erwägungen sind mit dem Konzept der ,Inneren Mission‘ verbunden: So sollen die schon damals vielzählig existierenden Vereine und Initiativen zusammengeführt werden. Außerdem verbindet man mit der Inneren Mission die Hoffnung, dem ,,sozialen und geistigen Notstand der Gesellschaft“ begegnen zu können. Sie soll „das große Werkzeug werden, womit sie die Tatsache des Glaubens erweist.“ Nicht zuletzt versteht Wichern die Arbeit als kirchliche Antwort auf die gesellschaftlichen Revolutionsbestrebungen und die wachsende Arbeiterbewegung. Wichern möchte also die Volksmission und soziales Handeln miteinander verbinden und setzt auf moderne Organisationsstrukturen in Vereinen, die die landeskirchliche Zersplitterung überwinden.
Damit war der Startschuss für die Diakonie in ihrer heutigen Gestalt gefallen.
Johann Hinrich Wichern bereist im Anschluss an den Kirchentag Bayern, um auch hier für seine diakonische Idee zu werben. In Städten wie Nürnberg, Erlangen oder Würzburg hält er Vorträge, die teilweise unmittelbar zur Gründung von diakonische Einrichtungen führen, etwa der Erziehungs- und Brüderanstalt auf dem Puckenhof bei Erlangen.
In Bayern hat Wichern allerdings in Wilhelm Löhe (1808 – 1872), Pfarrer im fränkischen Neuendettelsau, ein theologischer Gegenspieler.
,,Dennoch ist der Wichernsche Plan ein verfänglicher und gefährlicher. Nicht die Werke sollen unterbleiben, aber der Plan ist falsch.“ (Wilhelm Löhe)
Löhe kritisiert Wichern scharf: So lehnt er die Pläne einer überörtlich organisierten Diakonie und möchte vielmehr die die Eigenständigkeit der Vereine erhalten. Außerdem will er die Kirchengemeinden vor Ort stärker in die diakonische Arbeit einbinden. Vor allem ist ihm Wicherns gesamtprotestantischer Ansatz ein Dorn im Auge – Löhe versteht sich als zuallererst als Lutheraner.
1854 gründet er in Neuendettelsau die erste Diakonissenanstalt in Bayern, Vorläufer von „diakoneo“, des heute größten diakonischen Trägers in Bayern. Ein Jahr später entsteht auch im liberal geprägten Großstadtprotestantismus der einstigen Reichsstadt Augsburg eine Diakonissen-Mutterhaus (heute „diako“). Im Mittelpunkt stehen bei beiden Häusern – mit unterschiedlichen Schwerpunkten - ursprünglich die Gemeindediakonie, die Ausbildung eines Krankenhauswesens sowie die Betreuung von Kleinkindern und geistig behinderten Menschen.
Das in Kaiserswerth entstandene Berufsmodell der Diakonisse, das sich nun in Bayern etabliert, ist im 19. Jahrhundert revolutionärer, als es aus heutiger Sicht wirkt. Denn es bietet Frauen erstmals die Möglichkeit zu einer halbwegs selbstbestimmten Lebensführung jenseits der eigenen Familie.
Wilhelm Löhes historische Bedeutung geht vor allem auf einen anderen Aspekt seiner Arbeit zurück. Löhe begann schon 1841, Seelsorger für Amerika-Auswanderer auszubilden, lange bevor sich Strukturen der Auswandererhilfe etwa in Bremen und Hamburg bildeten. Seine „Missionsanstalt“ ist die Keimzelle von „Mission EineWelt“, dem Missionswerk der bayerischen Landeskirche.
,,Alles […] was ohne Herstellung einer organischen Verbindung [d.h. der institutionellen Verschmelzung der einzelnen Vereine], welche dem ausgesprochenen Grundgedanken der beiden Gesellschaften für innere Mission und weibliche Diakonie […] geschehen kann, wollen wir gerne tun.“ (Wilhelm Löhe)
Karl Buchrucker (1824 – 1899) gilt als Brückenbauer zwischen Löhe und Wichern. Der seit 1863 in Nördlingen tätige Pfarrer macht sich besonders in der Religionspädagogik einen Namen. Über eine in Nördlingen angesiedelte Kinderkrippe, die von Diakonissen aus Neuendettelsau geleitet wird, kommt Buchrucker in Berührung mit der diakonischen Arbeit Löhes. Aber auch zum Wichernschen Kreis knüpft er enge Kontakte: Bereits während seines Studiums lernt er in Erlangen das Konzept der Inneren Mission kennen. Er begründet 1866 die lose „Baiersdorfer Conferenz für Innere Mission“, bei der sich Pfarrer austauschen, die im Bereich der „Inneren Mission“ in Bayern wirken. Wie nötig dieses Forum ist, erweist eine überlieferte Anekdote, derzufolge manche fränkische Pfarrer hier mit Erstaunen erfahren, dass es in Bayern neben Neuendettelsau noch eine zweite Diakonissenanstalt gibt. 1884 ruft Buchrucker den „Verein für Innere Mission München“ ins Leben.
1886 geht aus der „Baiersdorfer Konferenz“ der in Nürnberg ansässige ,,Landesverein für Innere Mission“ hervor. Er ist Vorläufer des heutigen Diakonisches Werks Bayern und dient als Kommunikationsplattform zwischen den unterschiedlichen Vereinen und Einrichtungen, die es inzwischen überall in Bayern gibt. Durch den Verein wird Nürnberg zum Zentrum der organisierten Diakonie; dort wird 1890 eine Diakonenanstalt errichtet, die 15 Jahre später bei gleichzeitiger Gründung einer Erziehungsanstalt nach Rummelsberg umzieht. Die „Rummelsberger Anstalten“ sind die Keimzelle der heutigen Rummelsberger Diakonie, des zweitgrößten diakonischen Trägers in Bayern. 1905 entsteht auf der Hensoltshöhe in Gunzenhausen die dritte bayerische Diakonissenanstalt.
Im Erste Weltkrieg versteht sich der Landesverein für Innere Mission als „Seelsorger des deutschen Volkes“ und verbreitet Broschüren und Bücher in Millionenauflage, die in protestantischer Staatstreue den Krieg rechtfertigen. Der Zusammenbruch des Kaiserreiches und die Gründung einer demokratischen Republik sorgt unter Deutschlands Protestanten für enorme Verunsicherung. Die Vertreter der „Inneren Mission“ befürchten, der neue „Sozialstaat“ werde alle soziale Arbeit an sich reißen und die Kirchen ins Abseits stellen.
Doch dazu kommt es nicht. Die diakonischen Träger in Bayern leiden zwar zunächst unter den wirtschaftlichen Folgen der Kriegs- und Inflationszeit, profitieren aber bald von der wirtschaftlichen Erholung in den „Goldenen Zwanzigern“. Besonders im konservativ geprägten Bayern versteht der Staat die Kirchen nicht als Gegner, sondern als Partner im Kampf gegen Armut und Not. Der Gedanke der sozialen Verantwortung und der Fürsorge sowie das Anrecht des Einzelnen auf eine soziale Grundsicherung gewinnt immer mehr an Bedeutung.
Ein herausragendes Beispiel für die Zusammenarbeit von Staat und evangelischer Wohlfahrtspflege ist die Gründung des Wichernhauses in Altdorf im Jahr 1925 unter dem Dach der „Rummelsberger Anstalten“. Das Wichernhaus gilt damals als reichsweites Vorzeigeprojekt in der Hilfe für Menschen mit körperlicher Behinderung.
In jenen Jahren wird die „Innere Mission“ zum Schrittmacher moderner kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit. Die „Evangelische Bildkammer Bayern“ erreicht mit ihren teilweise selbst produzierten Filmen ein Millionenpublikum. Auf der Jägersburg bei Forchheim entsteht ein viertes Diakonissen-Mutterhaus, das nach 1945 nach Puschendorf zieht
Die Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 beendet die kurze Blüte der Wohlfahrtsarbeit. Bayerns Protestanten setzen große Hoffnungen auf die vor allem im evangelischen Franken rasch erstarkende NSDAP und begrüßen fast durchwegs die Machtübernahme“ im Jahr 1933.
Die Nationalsozialisten beginnen schnell, die Strukturen von Parlamentarismus, Demokratie und Eigenständigkeit in Staat und Gesellschaft zu zerschlagen. 1933 wird ebenso wie in der evangelischen Landeskirche auch in der Inneren Mission die Idee des „Führerprinzips“ eingeführt. So wie an der Spitze der verfassten Kirche nun ein mit hohen Kompetenzen ausgestatteter Landesbischof steht, soll für die evangelische Wohlfahrtpflege nun ein „Landesführer“ sprechen, dessen tatsächlichen Einflußmöglichkeiten aber unklar beiben. Die Gleichschaltung der evangelischen Kirche zu einer einzigen Reichskirche misslingt zwar; auf die Arbeit und Strukturen der Wohlfahrtsverbände wird jedoch erheblicher Druck ausgeübt. Die bereits 1932 gegründete ,,Nationalsozialistische Volkswohlfahrt“ (NSV) soll mittelfristig die soziale Arbeit in Deutschland übernehmen.
Die Einrichtungen der Inneren Mission unterstellen sich formell der Landeskirche, um sich damit einer drohenden Gleichschaltung zu entziehen. Dennoch greifen die Nationalsozialisten mit Hilfe der NSV massiv in die Arbeit etwa der evangelischen Kindergärten und Schulen ein und bieten beispielsweise durch die Gründung der Hitlerjugend eine entsprechende Konkurrenz zu den christlichen Jugendvereinen.
Als das dunkelste Ereignis der Diakonie während des Zweiten Weltkriegs gilt die sogenannte „Aktion T4“. Im Rahmen dieser umfangreichen Tötungsaktion werden von den Nationalsozialisten bis 1945 in mehreren Wellen rund 300.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen ermordet. Allein aus der Diakonissenanstalt Neuendettelsau, in der sich damals im evangelischen Bayern die Arbeit mit Menschen mit geistigen Behinderungen konzentriert, werden mehr als 1.200 Personen deportiert und über 800 in der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz umgebracht. Viele Einrichtungen müssen sich der Übernahmebestrebungen des Staates erwehren.
Im Frühjahr 1945 liegt Deutschland moralisch, baulich und gesellschaftlich in Trümmern. Städte wie Nürnberg und Würzburg sind in weiten Teilen unbewohnbar, Millionen von Menschen sind auf der Flucht oder werden vertrieben, überall herrschen Hunger, Not und Elend. Die staatlichen Institutionen sind nach zwölf Jahren NS-Diktatur diskreditiert, weshalb den Kirchen in dieser Zeit eine besonders wichtige Rolle zukommt.
Viele dieser dringlichen Aufgaben übernimmt das im Juli 1945 gegründete ,,Hilfswerk der Inneren Mission der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern“: Es verteilt Hilfsgüter und führt Spendensammlungen durch. Anders als in anderen Teilen Deutschlands, ist das Hilfswerk in Bayern vom ersten Tag an Teil der „Inneren Mission“.
1948 kommt es zu einer großen Organisationsreform der „Inneren Mission“. Der 1886 gegründete Landesverein hatte sich in vielen Aufgaben als zahnloser Tiger erwiesen, was in einem Wort des langjährigen Vorsitzenden Friedrich Boeckh zum Ausdruck kommt: „Es fehlt uns doch jeglicher organisatorischer Zusammenschluß…“.
Nach langem Ringen zwischen Innerer Mission und Landeskirche über den kirchlichen Einfluß in dem neuen Verband wird zum 100jährigen Jubiläum der deutschen Diakonie der „Landesverband für Innere Mission“ gegründet. Alle diakonischen Einrichtungen in Bayern, die sich als evangelisch verstehen, müssen ihm beitreten. Erster Vorsitzender des neuen Verbandes wird der Rummelsberger Rektor Karl Nicol (1886-1954). Der alte Landesverein besteht weiter, und zwar unter dem Namen „Rummelsberger Anstalten der Inneren Mission“. Alle Aufgaben mit übergreifender Bedeutung, etwa die Fachgruppenarbeit oder die Öffentlichkeitsarbeit, wandern zum neuen Landesverband.
1957 fusionieren der „Landesverband für Innere Mission“ und das „Evangelische Hilfswerk“. Der heutige Titel "Diakonisches Werk Bayern - Landesverband der Inneren Mission der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern" wurde 1965 eingeführt.
Aufgrund des stetig wachsenden Wohlstandes und des gesellschaftlichen Wandels in der Bundesrepublik gelingt es dem Diakonischen Werk in den folgenden Jahrzehnten, sein Angebot immer weiter auszubauen. Zu Beginn der 1960er Jahre werden dazu auf der politisch-rechtlichen Ebene die Bedeutung der diakonischen Träger sowie die Rolle der Unterstützung Suchenden neu definiert und festgelegt. Vor diesem Hintergrund erschließt sich die Vielzahl von Hilfsangeboten und Ausbildungsmöglichkeiten, die das Diakonische Werk in Bayern heute bietet. Während die Bedeutung der vier Diakonissen-Mutterhäuser für das diakonische Leben in Bayern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark zurückgeht, werden in Rummelsberg seit 1982 auch Diakoninnen ausgebildet.
Ca. 10 Millionen Menschen in Deutschland erhalten von der Diakonie Betreuung, Beratung, Pflege und medizinische Versorgung. Bundesweit arbeiten 525.700 Menschen für die Diakonie, ca. 700.000 sind ehrenamtlich tätig.
Die Präsidenten der Diakonie Bayern seit 1958
Dr. Sabine Weingärtner
Präsidentin des Diakonischen Werkes Bayern
Michael Bammessel
Präsident des Diakonischen Werkes Bayern
Dr. Ludwig Markert
Präsident des Diakonischen Werkes Bayern
Heimo Liebl
Präsident des Diakonischen Werkes Bayern*
* Seit einer Änderung der Satzung trägt der (hauptamtliche) 1. Vorstandsvorsitzende den Titel Präsident, zuvor stand an der Spitze der Diakonie in Bayern ein ehrenamtlicher Landespfarrer.
Helmut Danner
Landespfarrer des Diakonischen Werkes Bayern
Dr. Karl Leipziger
Landespfarrer des Diakonischen Werkes Bayern
Balther Dyroff
Landespfarrer des Diakonischen Werkes Bayern