Nürnberg, 24. Januar 2023 Mit deutlichen Worten fordert auch die Diakonie in Bayern eine Einschränkung der Zeitarbeit in der Pflege und bestätigt damit Medienberichte der vergangenen Tage. „Der häufige Einsatz von Zeitarbeitsfirmen in der Pflege führt nicht nur in den Einrichtungen zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Er bringt auch viele Einrichtungen der Altenhilfe an den Rand der Existenz“, so Sandra Schuhmann, zuständige Vorständin im Diakonischen Werk Bayern, heute in Nürnberg. „Was ursprünglich als Zwischenlösung für gelegentliche Personalengpässe gedacht war, entwickelt sich immer mehr zur Regelpraxis.“ Die Ursachen: Der massive Personalmangel in der Altenhilfe.
Um die Versorgung der Bewohner und Bewohnerinnen trotz massiven Personalmangels sicherzustellen, sind Einrichtungen immer häufiger auf Zeitarbeitsfirmen angewiesen. Die von diesen abgerechneten Gehälter sind jedoch deutlich höher als die der regulären Beschäftigten – der Unterschied kann bis zu 1.000 Euro im Monat betragen. Getragen werden müssen diese Mehrkosten von den Einrichtungen. Der Diakonie zufolge profitieren Zeitarbeitsfirmen massiv von der Notsituation der Einrichtungen. „Wer nicht auf die Bedingungen der Zeitarbeitsfirmen eingehen will, muss entweder seine Mitarbeitenden ‚verbrennen‘ oder aber den Betrieb einschränken.“ Der Diakonievorständin zufolge handelt es sich hier nicht um Einzelfälle – betroffen sind Einrichtungen der Diakonie überall in Bayern.
So berichtet Matthias Rechholz, Geschäftsführer mehrerer kleinerer diakonischer Altenhilfeeinrichtungen in Nordbayern: „Wenn wir kein eigenes Personal finden, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, müssen wir auf Angebote von Zeitarbeitsfirmen zurückgreifen – die unsere Situation gnadenlos ausnutzen.“ Da Zeitarbeitsfirmen nicht an Tarife gebunden seien, könnten diese nicht nur deutlich bessere Gehälter zahlen, sondern auch die Arbeitsbedingungen für die entliehenen Mitarbeitenden diktieren. „Die entliehenen Kollegen können beispielsweise Nacht- und Wochenenddienst ablehnen und erhalten zudem zusätzliche Anreize wie etwa einen Dienstwagen.“ Er könne damit nicht konkurrieren. So hätte er kürzlich für 32 Stunden, die durch eine Mitarbeiterin einer Zeitarbeitsfirma erbracht wurde, über 3.600 Euro bezahlen müssen. „Eine Vollzeitkraft leistet für ein geringeres Monatsentgelt über 170 Stunden.“ Die Träger hätten dadurch nicht nur deutliche Mehrkosten, sondern liefen zudem ständig Gefahr, Kollegen und Kolleginnen an diese Unternehmen zu verlieren. Rechholz: „Die Zeitarbeit trägt mittelfristig zum Personalnotstand in der Pflege bei.“
Betroffen davon sind nicht nur kleine Einrichtungen. So schildert Dr. Tobias Mähner, bei Martha-Maria mit knapp 5.000 Mitarbeitenden zuständig für Recht und Personal: „Die Mehrkosten, die durch den Einsatz von Zeitarbeitsfirmen entsteht, können wir nicht auf die Bewohner und Bewohnerinnen noch auf Patientinnen und Patienten umlegen. Wir müssen sie aus den Rücklagen nehmen.“ Dies sei selbst für große gemeinnützige Einrichtungen auf Dauer nicht leistbar – egal ob Altenhilfeeinrichtung oder Krankenhaus. „Das Modell der Zeitarbeit diente ursprünglich auch dazu, Menschen ohne eine feste Stelle wieder in Lohn und Brot zu bringen. Jetzt werden dringend benötigte Kollegen und Kolleginnen mit Lockangeboten aus einer festen Beschäftigung in die Zeitarbeit geholt.“ Das Abwerben aus Mangelberufen müsse unterbunden werden, so Mähner.
Die momentane Praxis, so Sandra Schuhmann, unterhöhlt auf Dauer sozialstaatliche Grundprinzipien: „Das Subsidiaritätsprinzip, demzufolge der Staat Aufgaben der Daseinsvorsorge an freie Träger abgibt, wird ebenso unterlaufen wie das Selbstverwaltungsprinzip in den Sektoren Gesundheit und Pflege.“ In Richtung Gewerkschaften sagte sie: „Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ver.di lautstark Tarifverträge auch in der Pflege fordert, aber genau dann wegschaut, wenn andere Player diese Tarifbindung unterlaufen.“
Die Diakonie fordert darum von der Politik, hier regelnd einzugreifen – nicht durch ein Verbot, aber beispielsweise durch die Einführung einer Bemessungsgrenze für die Forderungen der Zeitarbeitsfirmen. „Dies wäre unseres Erachtens kein staatlicher Eingriff in einen freien Markt. Vielmehr muss die Politik hier ihrer Verantwortung für die Daseinsvorsorge gerecht werden und verhindern, dass die Not der Einrichtungen weiter ausgenutzt wird.“