Schulbeginn – au weia, das wird teuer

Interview mit Dominik Kurzai von der Diakonie Landshut

 

Für 134.000 Kinder in Bayern beginnt heute die Schule. Schon seit Monaten fiebern die meisten von ihnen wahrscheinlich diesem Tag und dem neuen Abschnitt in ihrem Leben entgegen. In die Vorfreude mischt sich bei vielen Eltern die Sorge, denn der Schulanfang ist richtig teuer. Mehrere hundert Euro fallen an und nicht alle können dies stemmen. Doch auch sie wollen zu Recht eine gute Schulbildung für ihr Kind, mit gleichen Chancen.
Wir haben mit Dominik Kurzai vom Lernmittelshop „Buntstift“ der Diakonie Landshut gesprochen.

DWB: Immer wieder hören wir von Politikern aller Couleur, wie wichtig Bildung ist. In Deutschland wiederum, das zeigen Studien wie PISA, hängt der Bildungserfolg sehr vom Elternhaus ab.
Kurzai: Absolut richtig, so sollte es aber nicht sein. Die schulische Ausbildung darf nicht vom Budget der Eltern abhängig sein. Doch die hohen Kosten, besonders auch für die Erstklässler, wären ohne unser Angebot für viele Eltern nicht zu bewältigen.

Wie genau sieht dieses Angebot aus?
Wir sind mit unserem Schulbedarfsladen Buntstift an drei Standorten vertreten. Wir unterstützen Familien, für die diese Ausgaben eine hohe Belastung darstellen. Bei uns erhalten sie das benötigte Material zu einem Viertel des regulären Einkaufspreises. Wir sind der Überzeugung, alle Kinder haben die gleichen Chancen für eine bestmögliche Schulausbildung. Deswegen gibt es bei uns auch das gleiche Markenmaterial, wie es dann auch die anderen Schülerinnen und Schüler bekommen. Denn niemand soll als arm auffallen und in der Folge ausgegrenzt werden.

Wie finanzieren Sie dies?
Durch Spenden und durch die Einnahmen aus unserem Weihnachtssingen im Stadion. Das ist ein Projekt von Frau Dekanin Dr. Lubomierski. Die Einnahmen aus dem Getränkeverkauf dieser Veranstaltung bekommen die Schulbedarfsläden. So war es zumindest die letzten zwei Jahre. Dieses Jahr soll es ebenfalls so sein.

Wie sehr wird Ihr Angebot in Anspruch genommen?
Die Eltern rennen uns die Tür ein, es werden Jahr für Jahr mehr. Allein bei uns am Standort Altdorf waren es leztes Jahr ca. 360 Kinder, Tendenz steigend. 

Welche Kosten erwarten die Eltern zum Schulanfang?
Bei uns fallen pro Einkaufsliste im Durchschnitt etwa 30 bis 40 Euro an. Das ist, wie gesagt, ein Viertel der eigentlichen Kosten. Wir sprechen also von 120 bis 160 Euro pro Schulkind. Viele Familien, die zu uns kommen, haben aber nicht nur ein Kind, sondern mehrere. Und für Schulanfänger kommen noch wesentlich mehr Ausgaben hinzu.

Stimmt, die Schultasche kommt ja noch hinzu…
Ja, da sprechen wir von etwa 280 Euro. Aber wenn es dann noch eine Schultüte sein soll, und aus unserer Sicht sollte sie sein, weil alle anderen Kinder sie auch haben, dann läppert sich nochmal einiges zusammen. Aber auch das ist noch nicht alles, immer mehr Schulen machen Sammelbestellungen für die Hefte.
 

Wieso ärgert Sie das?
Wir wenden viel Mühe und Spendengeld auf, damit Armut nicht sichtbar wird und die Kosten überschaubar bleiben. Und dann kommen nochmals rund 70 Euro für die Schulhefte hinzu (abgesehen vom Kopiergeld oder Papiergeld, wie das heute heißt), die dann nochmals in der Schule gezahlt werden müssen. Also auf die 30 bis 40 Euro obendrauf. Das Schlimmste aber ist, dieses Geld wird in der Regel in der Klasse eingesammelt. Wenn da Kinder das Geld nicht mitbringen oder nur abstottern können, bekommen das alle anderen mit.

Haben wir in Bayern nicht eigentlich Lernmittelfreiheit?
Sollte man meinen. In der Bayerischen Verfassung steht, dass der Unterricht unentgeltlich ist. Die Schulbücher werden zwar gestellt, aber Eltern müssen auch Bücher- und Kopiergeld stemmen. Und dann kommen noch diese langen Einkaufslisten hinzu, ebenso Kosten für Ausflüge, Schulfahrten etc. Für viele Familien mit geringem Budget ist all das sehr schwierig. Und es entspricht aus meiner Sicht nicht der Chancengleichheit.

Neulich war bei uns eine Familie mit Zwillingen, bei denen summierte es sich für den Schulanfang auf 2.000 Euro. Das ist für manche mehr als das Monatseinkommen. Und ich hörte auch schon von Schulen, die die Schulbücher ganz abschaffen wollen. Die Eltern sollen diese stattdessen kaufen.

Haben Sie eine Erklärung für diese überbordenden Listen und Anschaffungsvorgaben?
Ich glaube, da gibt es ganz viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer mit besten Absichten und viel Kreativität. Was sie aber oft nicht im Blick haben, welche enorme Herausforderung dies für viele Familien darstellt und wie sehr das zur Ausgrenzung führen kann. 

Sind alle diese Anschaffungen auf den Listen denn nötig und gerechtfertigt?
Wir hatten hier eine Praktikantin aus Indien, die eine Zeit bei uns gearbeitet hat, sie konnte das alles gar nicht glauben. Sie meinte, bei uns (in Indien) gibt es linierte und karierte Hefte. Und dennoch schafft man damit das Abitur. Das nur mal zu Einordnung. Die Dame war selbst Lehrerin in Indien.

Es mag vieles berechtigt oder gut gedacht sein. Aber ich weiß noch aus meiner Schulzeit, alle Kinder mussten Knete kaufen und diese wurde genau einmal im Unterricht gebraucht. Die könnte dann doch auch die Schule stellen. Und jedes Jahr soll es ein neuer Malkasten sein. Auch wenn der aus dem vorigen Schuljahr noch ginge. Das ist nicht einzusehen.

Und auch nicht gerade nachhaltig…
Nein, auf keinen Fall. Zumal man ja auch einzelne Farben nachkaufen könnte, wenn diese leer sind. Auf der anderen Seite bestehen die Lehrkräfte aber auf Textmarkern mit Holzkörper, weil man ja ökologisch sein will.


Sie haben davon gesprochen, dass hier eventuell das Verständnis für Familien mit Armutserfahrung fehle.
Ja, wir merken das auch immer wieder, wenn Schulklassen unsere Einrichtung besuchen. Da reagieren viele Lehrkräfte doch sehr betreten. Ihnen war das Problem vorher so nicht bewusst.


Hätten Sie da eine Idee?
Man sollte die Lehrkräfte für dieses Problem vermehrt sensibilisieren. Wir haben in unserem Landkreis eine Konferenz aller Grundschul-Lehrkräfte. Das wäre ein passender Rahmen. Vielleicht könnte die Diakonie Bayern so etwas auch flächendeckend initiieren...
 

Und wenn Sie noch einen Wunsch frei hätten bezüglich der Schulen. Was wäre dies?
Viele Kinder gehen mit leerem Magen in die Schule. Ich würde mir ein kostenloses und gesundes Schulessen wünschen. Aber bitte nicht wieder auf eine Weise, bei der Armut sicht- und spürbar wird. Ich finde, eine gute Schulbildung inklusive eines kostenlosen Schulessens sollten die Kinder uns wert sein. Erst recht, wenn wir immer wieder hören, wie wichtig Bildung ist.

Vielen Dank für das Gespräch.