Nürnberg, 26.07.2021 „ANKunft – Entscheidung – Rückführung“ – drei Jahre nach ihrer Einführung ziehen ProAsyl, die Diakonie in Bayern und andere NGOs eine ernüchternde Bilanz der sogenannten ANKER-Zentren. In einem gemeinsamen Aufruf fordern sie nun die Abschaffung der ANKER-Zentren bzw. vergleichbarer Einrichtungen. Anhand einer umfangreichen Liste weisen sie die Schwächen des „ANKER“-Systems nach.
So ist das Ziel der ANKER-Zentren, Asylverfahren wesentlich zu beschleunigen, nach Ansicht von ProAsyl und Diakonie nicht erreicht worden. Sabine Lindau, als Vorständin der Diakonie Bayern zuständig für Flucht, Migration und Integration: „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst weist nach: Die Verfahren in einem ANKER-Zentrum dauern im Schnitt 77 Tage – statt 82 Tagen in anderen Einrichtungen.“ Dieser geringe Zeitgewinn habe jedoch einen hohen Preis. Kindern ist ein regulärer Besuch von Schulen oder Kindertagesstätten oftmals nicht möglich; der angebotene Unterricht entspricht oftmals nicht dem des regulären Schulsystems. Häufig verbringen jedoch Asylsuchende bis zu 18 Monaten oder gar noch länger in den Landeseinrichtungen.
„Weiterhin hängt der frühzeitige Besuch von Sprach- und Integrationskursen von der Anerkennungsquote der Betreffenden ab“, so Lindau. Die Folge: Derzeit haben nur Geflüchtete aus Syrien, Eritrea und Somalia Anspruch auf die entsprechenden Kurse. „Über eine Quote wird so Einzelpersonen der Zugang zu Sprach- und Integrationskursen verweigert, obwohl die individuelle Perspektive eine ganz andere sein kann.“ Lindau bemängelt weiterhin das medizinische Niveau in den Zentren: „Fachärztliche Behandlung, die Behandlung chronischer Erkrankungen oder psychischer Belastungen finden nicht oder nur eingeschränkt statt.“
Ein Blick in die bayerische Praxis – das erste ANKER-Zentrum wurde am 1. August 2018 in Bamberg eröffnet – bestätigt dies. So berichtet Andrea Betz, als Vorständin bei der Diakonie München und Oberbayern zuständig für Flucht und Migration und damit auch für die diakonischen Angebote im Münchner Ankerzentrum: „Das Münchner ANKER-Zentrum hat seine Kapazitätsgrenze erreicht. Eine Privatsphäre gibt es für die hier lebenden Menschen kaum, und dies ist – angesichts der individuellen Erfahrungen und der dauernden Angst vor einer Corona-Infektion – besonders belastend.“ Leidtragende seien wie so oft die Kinder und Jugendlichen. „Sie leiden nicht nur unter den eingeschränkten Schul- und Betreuungsangeboten. Die Situation im Zentrum lässt kaum Raum etwa für das Spiel mit Gleichaltrigen und damit für eine angemessene soziale Entwicklung.“
Lindau und Betz bekräftigen zudem die von Diakonie Deutschland, Deutschem Caritasverband, Paritätischem Gesamtverband, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband und PRO ASYL geforderte Abschaffung des Sachleistungsprinzips in den ANKER-Zentren. Betz: „Dies hält die Bewohner und Bewohnerinnen in der Unselbstständigkeit und verdammt sie zusätzlich zur Untätigkeit.“
Statt ANKER-Zentren fordern die Organisationen in ihrem Appell eine gesetzliche Begrenzung auf maximal 3 Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung, die das Ankommen der Menschen in den Mittelpunkt stellt und sie bestmöglich auf das Asylverfahren und den Aufenthalt in Deutschland vorbereiten: “Wir stehen für die Rechte von geflüchteten Menschen, für ihren Schutz und ihre schnelle und umfassende Teilhabe an der Gesellschaft. Eine Unterbringungsform, die die Menschenwürde verletzt, zur Isolation führt und vor allen Dingen auf Abschiebung orientiert ist, ist ein Irrweg und schadet uns allen. Gemeinsam können wir eine gute Erstaufnahme umsetzen! Der neue Bundestag muss hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen und förderliche Rahmenbedingungen schaffen.“ Der gesamte Appell ist abrufbar unter:
https://www.proasyl.de/news/anker-zentren-drei-jahre-isolation-und-ausgrenzung-von-asylsuchenden/
bzw. hier:
https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/Aufruf-mit-Unterzeichnenden.pdf