Die Not wächst weiter

An die Bahnhofsmissionen in Bayern wenden sich immer mehr Menschen.

München, 15.05.2024 Viele von ihnen haben psychische Probleme. Zugleich steigt die Nachfrage vor allem nach Lebensmitteln und materiellen Hilfen unverändert an.  

Die Zahlen sind alarmierend, in Würzburg wie in Passau oder Schweinfurt: Immer mehr Gästen, die in bayerischen Bahnhofsmissionen Rat und Hilfesuchen, leiden unter psychischen Problemen oder Abhängigkeitserkrankungen. Viele sind einsam, andere verzweifelt, manche sogar suizidgefährdet. „Rund 135 000 Besucherkontakte von knapp 500 000 insgesamt drehten sich in den zwölf Einrichtungen in irgendeiner Form um Menschen mit psychischen oder abhängigkeitsbedingten Erkrankungen. Damit ist fast jeder dritte Gast betroffen“, berichtet Hedwig Gappa-Langer von der Arbeitsgemeinschaft der kirchlichen Bahnhofsmissionen und zuständige Referentin beim IN VIA Landesverband Bayern. 

"Wir erleben auch sehr viele Menschen in der Beratung und bei der Notversorgung, die hochgradig psychisch belastet oder auch auffällig sind“, beschrei-ben Bettina Spahn und Barbara Thoma, die Leiterinnen der Münchner Bahnhofsmission, die Situation, „das bedeutet nicht immer das Vorliegen einer bestehenden Diagnose - verschärft die Situation in den Beratungsgesprächen jedoch zusätzlich." Insgesamt sind in München wie an fast allen Standorten die Kontaktzahlen noch einmal stark angestiegen. „Ein großer Teil der Menschen, die zu uns kommen, lebt am Existenzminimum. Bei Krisen und akuten Notlagen führt immer öfters der Weg in die Bahnhofsmission", so Barbara Thoma.

Die Bahnhofsmission München gehört mit ihrem umfassenden professionellen Angebot zum Münchner Hilfesystem. Ihr Auftrag ist neben der Akuthilfe die Klärung und Vermittlung in das bestehende Hilfenetz.    

„Unsere Besucherzahlen haben jetzt zwei Jahre hintereinander Rekorde gebrochen“, betont Michael Lindner-Jung, Leiter der Bahnhofsmission Würzburg. Armut ist das beherrschende Thema geblieben und nimmt stetig zu. Dazu kommt die wachsende Zahl von Menschen in akuten Krisen und wiederkehrenden Psychosen oder Depressionen, traumatisiert durch einschneidende Lebensereignisse oder dem Verlust von wichtigen Beziehungen. „Wir spüren deutlich die Folgen der Corona-Pandemie“, so Lindner-Jung, „viele unserer Gäste haben das wenige, das sie überhaupt hatten, verloren. Auch den Anschluss an die Gesellschaft, das Leben.“ Die Stimmung sei mehr als „nur“ gedrückt, oft machen sich Existenzängste, Verzweiflung und Mutlosigkeit breit. Die wiederkehrende Erfahrung, nicht mithalten zu können, oft nicht einmal wahrgenommen zu werden, nimmt Menschen die Substanz. „Wir nehmen täglich wahr, wie Armut und Aussichtslosigkeit krank machen“, so Lindner-Jung. Für die Bahnhofsmission ist das eine kräftezehrende Situation: „Wir ringen um gute Lösungen, kommen aber auch sehr an unsere Grenzen.“ Er baut auf die Solidarität der Gesellschaft, wieder Räume zu schaffen für diejenigen, die ihren Platz verloren haben. 

Die Krisen der vergangenen Jahre haben auch in Schweinfurt oder Passau deutliche Spuren hinterlassen: „Viele Leute schämen sich, weil nach außen hin ihre Armut sichtbarer wird, und ziehen sich daher immer mehr zurück“, weiß Einrichtungsleiterin Susanne Brand (Schweinfurt), „zu uns kommen sie, weil sie reden und nicht allein sein wollen.“ Eine Tasse Tee, dazu ein Gespräch, das sei oft eine der letzten Brücken in das so genannte normale Leben.

Über viel mehr Gäste, oft auch junge Menschen mit einer Suchtproblematik, berichtet Angelika Leitl-Weber aus Passau: „Diejenigen, die eh nicht viel hatten, haben jetzt noch weniger.“ Wichtig sei es, ein offenes Ohr zu haben, und Vertrauen aufzubauen. 

"Das ist eine erschreckende Entwicklung, die wir beobachten und eine große Herausforderung für die Bahnhofsmissionen", sagt Hedwig Gappa-Langer (IN VIA Bayern) und ihr Kollege Harald Keiser vom Diakonischen Werk Bayern kann das nur bestätigen: "Für die meisten der Gäste, deren seelische und auch körperliche Gesundheit nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen ist, sind sie oft die letzte Anlaufstelle im Hilfesystem, sozusagen der Notanker."

Nicht zu vergessen ist das Hilfeangebot der Bahnhofsmissionen für Reisende. Auch hier steigt der Bedarf seit 2022 wieder erkennbar, nicht zuletzt, weil immer mehr Menschen beim Bahnfahren Unterstützung benötigen. Verspätungen, volle Züge und Bahnhöfe, aber auch die demographische Entwicklung und die zunehmende Digitalisierung machen Bahnfahren für viele beschwerlich. „Unsere Ehrenamtlichen packen an, wo sie können. Wir würden gerne noch mehr tun, etwa durch verstärkte Präsenz am Bahnhof“, so Anita Dorsch, Leitung der Bahnhofsmission Nürnberg, „aktuell ist dies aber aufgrund der knappen Personalressourcen nicht einfach.“  Die Bahnhofsmissionsarbeit in Bayern wird gefördert vom Bayerischen Sozialministerium.

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Einige Zahlen (gerundet) aus den bayerischen Bahnhofsmissionen 2023:

Fast 500 000 Kontakte zu Gästen bayernweit (+70 % zu 2019, + 26% zu 2022),

davon über 250 000 in München, Bayerns größter Bahnhofsmission

Die Bahnhofsmissionen boten insgesamt

über 1 Million Hilfeleistungen insgesamt (43% mehr als 2022) darunter

+ etwa 375 000-mal Aufenthalt in der Bahnhofsmission

+ über 50 000 Beratungs-, Seelsorge- und Krisengespräche

+ weit über 100 000 kleine Hilfen, Gespräche und Auskünfte 

+ fast eine halbe Million materielle Hilfen, darunter Notversorgung, Schlafsäcke, Decken oder Hygienemittel u.ä.   

 

Für Nachfragen wenden Sie sich bitte an
IN VIA Bayern e.V., Kath. Verband für Frauen- und Mädchensozialarbeit,
Hedwig Gappa-Langer
Mobil 0152 04111811

Ihr Kontakt

Daniel Wagner Pressesprecher