Nürnberg, 20.09.2023. Vor sozialen Folgen politischer Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen nach der Landtagswahl am 8. Oktober hat heute die Freie Wohlfahrtspflege Bayern gewarnt. „Die Einrichtungen der Wohlfahrt erfüllen Aufgaben des Staates – der uns dabei aber immer weniger unterstützt“, so die Vorsitzende der Freien Wohlfahrtspflege Bayern und Präsidentin der Diakonie Bayern, Dr. Sabine Weingärtner, heute in Nürnberg vor der Presse. Ohne angemessene Rahmenbedingungen sei ein „Weiter so“ nicht denkbar. „Die Anbieter aller sozialen Dienste – und damit auch die Politik – stehen vor den größten Herausforderungen ihrer Geschichte.“
Die sechs in der Freien Wohlfahrtspflege Bayern zusammengeschlossenen Verbände beobachten laut Weingärtner einen massiven Personalmangel, in der Folge die Einschränkung von Leistungen und Schließungen von Stationen oder ganzen Einrichtungen. „Am Ende droht die Insolvenz“. Davon, so die Vorsitzende, seien nicht nur Einrichtungen der Altenhilfe betroffen, sondern auch jene der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Behindertenhilfe.
„Die hohen Inflationsraten mit explodierenden Lebensmittel-, Sach- und Energiekosten stellen die sozialen Träger in allen Bereichen der Sozialen Arbeit seit drei Jahren vor große Herausforderungen,“ so Weingärtner vor der Presse. Gemeinnützige Einrichtungen könnten die rapide steigenden Kosten nicht kompensieren und bleiben auf den Verlusten sitzen. Es gebe kaum einen anderen gesellschaftlichen Akteur, der in seinen Handlungsmöglichkeiten so von den Entscheidungen anderer abhänge wie die Sozialwirtschaft, so Weingärtner. „Wir können nur im Rahmen politischer, finanzieller und gesetzlicher Vorgaben agieren, entscheiden und wirtschaften.“
Wenn aber Angebote eingeschränkt oder ganz aufgegeben werden müssten, träfe dies die Schwächsten der Gesellschaft – aber auch deren Mitte: „Wenn die Kita schließt und die ambulante Pflege nicht kommt, können Eltern und Angehörige nicht mehr arbeiten, weil sie die Versorgung ihrer Kinder oder pflegebedürftigen Eltern übernehmen müssen. Dann stehen nicht nur die Räder der Sozialwirtschaft still, dann steht auch die Wirtschaft still.“
Bereits jetzt müssten in Betreuungseinrichtungen für Kinder wegen des Personalmangels Öffnungszeiten gekürzt und Gruppen geschlossen werden, müssten Kita-Leitungen in den Gruppen oder in der Küche aushelfen, statt ihre Führungsaufgaben zu erledigen. Weingärtner: „In der Pflege findet sich bereits heute schon für jede vierte Stelle keine qualifizierte Fachkraft mehr. In den Einrichtungen kommt damit eine fatale Abwärtsspirale in Gang: Die Belastung für die verbliebenen Mitarbeitenden nimmt zu, die Folge ist eine weitere Abwanderung.“
Weingärtner monierte fehlende oder gar falsche politische Entscheidungen, die fatale Folgen haben könnten. So weise die Freie Wohlfahrtspflege Bayern seit Monaten darauf hin, dass die Anbieter von Ganztagsangeboten ihre Dienste einschränken müssten – „obwohl in drei Jahren der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule gilt und wir mehr statt weniger Angebote bräuchten.“ Auch im Bereich der Kindertageseinrichtungen ist die Lage seit vielen Jahren aufgrund der defizitären Finanzierungssituation angespannt. Immer wieder habe man in München auf die Unterfinanzierung in diesen Bereichen aufmerksam gemacht. Geschehen sei kaum etwas.
Weingärtner: „In 18 Tagen entscheidet es sich darum auch: Wie sozial bleibt Bayern? Bleibt Bayern etwa das Familienland Nummer 1? Bleibt Bayern ein Land, das wegen funktionierender sozialer Angebote auch für Investoren attraktiv ist? Oder reißt das Netz und kollabieren die Systeme endgültig - mit gravierenden Folgen?“
In der Freien Wohlfahrtspflege Bayern sind das Bayerische Rotes Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt, der Landes-Caritasverband Bayern, die Diakonie Bayern, der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern und der Paritätische Wohlfahrtsverband Bayern organisiert.
Gemeinsam erbringen die Verbände mit über 455.000 hauptamtlichen und rund 136.500 ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen rund 75 Prozent aller sozialen Dienstleistungen in Bayern. Rund sechs Prozent aller Beschäftigten im Freistaat, davon allein rund 95.000 in Pflegeheimen und weitere ca. 86.000 in Kindertagesstätten, arbeiten in der Sozialwirtschaft. Als Verband unterstützt die Freie Wohlfahrtspflege Bayern ihre Mitglieder durch Koordination und Absprachen bei der Realisierung von Zielen, mit denen sie ihren Beitrag dazu leisten, Bayern sozial zu gestalten.