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Barrieren im Zugang zu Sozialleistungen: Es darf keine Digitalisierungsverlierer geben.

Diakonie stellt 7-Punkte-Plan vor

Nürnberg, 23.07.25 Die Digitalisierung sozialstaatlicher Leistungen schreitet voran – mit dem Ziel, Prozesse effizienter zu gestalten und Zugänge zu vereinfachen. Doch was als Fortschritt gemeint ist, stellt in der Praxis für viele Menschen, die ohnehin in schwierigen Lebenslagen sind, eine zusätzliche Belastung dar. Zu diesem Ergebnis komme eine Umfrage unter diakonischen Beratungsstellen in ganz Bayern, die mit arbeitslosen Menschen arbeiten, und die jetzt am Rande einer Konferenz diakonischer Träger vorgestellt wurde. Sie offenbart erhebliche strukturelle Defizite beim digitalen Zugang zu den Jobcentern und zu deren Online-Angeboten.

Besonders deutlich zeigt sich die Problematik bei der Nutzung der digitalen Antragssysteme der Jobcenter. 82 % der Einrichtungen geben an, dass diese für viele ihrer Klientinnen und Klienten eine hohe Hürde darstellen, weitere 18 % berichten von Schwierigkeiten bei einigen. Die Befragung liefert hingegen keinen Hinweis darauf, dass die Systeme barrierefrei oder allgemein zugänglich wären. Nach Ansicht der Diakonie verfehlen die digitalen Tools damit ihren Zweck und verschärfen bestehende Ungleichheiten.

Die Ursachen für die Barrieren sind vielfältig: So geben 85 % der 41 befragten Beratungsstellen an, dass die Systeme nicht anwenderfreundlich und für viele Klienten und Klientinnen zu komplex sind. Ebenso viele bemängeln, dass es bei den Klientinnen und Klienten an technischerAusstattung mangelt – vielen fehlt es an Geräten wie Smartphones, Laptops oder Scanner. Weitere 59 % sehen den fehlenden Internetzugang als zentrales Problem. Knapp ein Viertel der Befragten nennt „andere“ Hinderungsgründe wie Sprachbarrieren, psychische Erkrankungen oder generelle Überforderung. Völlig problemfrei gestaltet sich der Zugang zu den digitalen Angeboten hingegen für – niemand.

Die Folgen der Digitalisierung sind nicht nur für Klientinnen und Klienten gravierend, sondern auch für die diakonischen Dienste selbst - auch für die Beraterinnen und Berater ist der Zugang zu den Angeboten der Jobcenter nur noch eingeschränkt möglich: Nur 38 % der befragten Beratungsstellen geben an, dass sie einen direkten Zugang zu den Jobcentern haben. Bei 45 % ist der Zugang nur noch teilweise gewährleistet, 18 % berichten von keinerlei direkter Erreichbarkeit. Dr. Sabine Weingärtner, Präsidentin der Diakonie Bayern: „Diese Zahlen belegen: Ein erheblicher Teil der Menschen erreicht die zentrale Anlaufstelle für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur eingeschränkt oder gar nicht. Damit geraten viele bereits am Anfang der Hilfekette ins Hintertreffen.“

Für die Diakonie in Bayern ergeben sich daraus folgende Konsequenzen:

  1. Digitalisierung darf niemanden ausschließen.
    Der Zugang zur sozialen Sicherung muss für alle Menschen gewährleistet sein – auch für jene ohne digitale Ressourcen oder Kompetenzen.
  2. Niedrigschwellige analoge Alternativen müssen erhalten bleiben.
    Papierformulare, persönliche Vorsprachen und telefonische Beratung sind für viele Menschen nach wie vor der einzige gangbare Weg. Sie dürfen nicht durch rein digitale Verfahren ersetzt werden. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Dauer bis zur Gewährung existenzsichernder Leistungen durch diese nicht verlängert wird.
  3. Digitale Systeme müssen vereinfacht und barrierearm gestaltet sein.
    Dazu gehört eine klare Sprache, intuitive Bedienung, visuelle Hilfen, Mehrsprachigkeit und inklusive Standards.
  4. Begleitung und Unterstützung müssen gestärkt werden.
    Es braucht Beratungsangebote, Lotsendienste und digitale Assistenz insbesondere für Menschen mit geringen Medienkompetenzen oder in besonders prekären Lebenslagen.
  5. Technische Infrastruktur muss verbessert und zugänglich werden.
    Menschen in Armut benötigen Zugang zu Geräten, WLAN und digitalen Grundkenntnissen – sei es durch Leihgeräte, kostenfreie Internetzugänge oder Schulungen.
  6. Kooperation mit der Freien Wohlfahrtspflege ausbauen.
    Diakonische Einrichtungen und andere soziale Träger sind in direktem Kontakt mit den betroffenen Menschen. Ihre Erfahrungen sollten systematisch in die Weiterentwicklung digitaler Angebote einbezogen werden.
  7. Digitalisierung sozial denken.
    Der technologische Fortschritt darf nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg umgesetzt werden. Es braucht einen Sozialstaat, der digital ist – aber nicht digitalistisch, und der die Realität der Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Weingärtner: „Die Digitalisierung ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die Chancen eröffnet – aber auch Risiken birgt. Wenn wir nicht gezielt gegensteuern, entstehen neue Ausschlüsse dort, wo ohnehin schon Benachteiligung herrscht. Die Diakonie fordert deshalb eine digitale Transformation mit sozialem Augenmaß – für einen Zugang, der alle mitnimmt.“

Ihr Kontakt

Daniel Wagner Pressesprecher