Trotz positiver Entwicklung am Arbeitsmarkt 480.000 Menschen chancenlos. Diakonie legt Zahlen vor.

Nürnberg, 6.11.2014 Mehr als 480.000 Menschen in Deutschland haben nahezu keine Chance am Arbeitsmarkt. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik (IBUS) der Hochschule Koblenz, die heute die Diakonie Bayern in Nürnberg vorgestellt hat. Trotz guter Arbeitsmarktlage ist ihre Zahl im Vergleich zum Vorjahr noch gestiegen. In den Familien dieser Menschen leben über 340.000 Kinder unter 15 Jahren – ebenfalls deutlich mehr als noch im Vorjahr. Die Diakonie fordert für die Betroffenen mehr und bessere Angebote öffentlich geförderter Beschäftigung.

Michael Bammessel, Präsident der Diakonie Bayern, sagte bei der Vorstellung der Studie: „Bayerns Arbeits- und Sozialministerin hat zwar vor wenigen Wochen in einer Presseerklärung verlauten lassen, dass sich der bayerische Arbeitsmarkt „robust und in guter Verfassung“ zeigt. Dennoch haben wir auch in Bayern leider viel zu viel Langzeitarbeitslose.“

Nach Erkenntnissen der Diakonie verharren in Bayern 116.000 Menschen seit mindestens vier Jahren im Leistungsbezug von Hartz-IV. Die Zahl derer, die laut Studie überhaupt keinen Zugang zum Arbeitsmarkt mehr haben, beläuft sich in Bayern auf 69.000. Bammessel: „Besonders dramatisch ist aus unserer Sicht, dass diese Zahl im Vergleich zum vergangenen Jahr um weitere 4.000 Personen gestiegen ist.“

Die Berechnung des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik (IBUS) auf Basis der aktuellen Daten des Panels Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung (PASS) 2012 zeige: Mehr als 480.000 Menschen in Deutschland sind zwar erwerbsfähig, aber gleichzeitig so „arbeitsmarktfern“, dass ihre Chancen auf Arbeit gen Null tendieren. Ebenfalls von der Lage ihrer Eltern betroffen sind 340.000 Kinder unter 15 Jahren, die in den Haushalten der besonders benachteiligten Arbeitslosen leben.

Laut Diakonie besonders alarmierend: Die Lage der Arbeitsmarktfernen verschlechtert sich zusehends. Bereits im Vorjahr hatte das IBUS ihre Zahl berechnet und war zu deutlich geringeren Werten gekommen. Mit 435.000 Menschen gab es 2011 noch zehn Prozent weniger Betroffene. Und auch die Zahl der Kinder ist gestiegen. 2011 lebten 305.000 unter 15-Jährige in den Haushalten der Arbeitsmarktfernen, 11,5 Prozent weniger als 2012.

Die Wissenschaftler des IBUS definieren die Personen als arbeitsmarktfern, die in den letzten drei Jahren nicht beschäftigt waren und mindestens vier Vermittlungshemmnisse aufweisen. Dazu gehören ein Alter über 50 Jahre, alleinerziehend zu sein, Angehörige zu pflegen, ein Migrationshintergrund, geringe Deutschkenntnisse, ein fehlender Schul- und/oder Ausbildungsabschluss, schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen und ein durchgängiger Arbeitslosengeld II-Bezug von mindestens 12 Monaten. Der Diakoniepräsident: „Wir wissen mittlerweile, dass diese Merkmale vor allem in ihrer Kombination nachgewiesenermaßen dazu führen, dass Arbeitgeber die Betroffenen schlichtweg nicht mehr einstellen.“

 

Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des IBUS und Leiter der Studie mahnte bei der Vorstellung der Studie an:: „Wir sehen hier eine massive Verfestigung und Verhärtung der Langzeitarbeitslosigkeit im Grundsicherungssystem – und das in Jahren, in denen wir mit positiven Rahmenbedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt konfrontiert waren. Immer offensichtlicher wird die Tatsache, dass die Politik diese Personengruppe in den vergangenen Jahren schlichtweg vergessen oder bewusst in Kauf genommen hat, dass es zu einer dauerhaften Exklusion dieser Menschen aus dem Erwerbsleben kommt.“

 

„Eine weitere Verfestigung im Hartz IV-Bezug muss verhindert werden. Für die besonders Arbeitsmarktfernen brauchen wir dringend mehr und bessere Angebote öffentlich geförderter Beschäftigung “ fordert daher Diakoniepräsident Bammessel. In den letzten Jahren seien die Fördermaßnahmen für die Langzeitarbeitslose massiv zurückgefahren worden: Zwischen 2008 und 2013 sank die Zahl der Teilnehmer um knapp 60 Prozent. Bei den verbleibenden Maßnahmen dominieren die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung – die umgangssprachlichen Ein-Euro-Jobs. Höherwertige Angebote in einer sozialversicherungspflichtigen Variante gibt es für Langzeitarbeitslose so gut wie gar nicht mehr.

 

„Wir brauchen daher eine Neujustierung der öffentlich geförderten Beschäftigung“, so MIchael Bammessel weiter. Bereits seit einigen Jahren fordert die Diakonie hierzu einen Sozialen Arbeitsmarkt, der mittels Passiv-Aktiv-Transfer (PAT) finanziert werden soll. Im PAT werden die passiven Mittel der Arbeitsmarktpolitik, also der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes („Hartz IV“) und die Kosten für Unterkunft und Heizung in aktive Mittel der Arbeitsförderung umgewandelt und damit sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose geschaffen. Und das sowohl bei Beschäftigungsträgern als auch in der Privatwirtschaft. „Mit dem PAT haben wir ein finanzierbares Modell entwickelt, das arbeitsmarktfernen Menschen durch echte, sozialversicherungspflichtige Arbeit Teilhabe ermöglicht. Die Politik sollte es dringend in Betracht ziehen, wenn sie die Betroffenen nicht auf Dauer zurücklassen will.“