Nürnberg, 15.2.2016 Die bayerische Staatsregierung ist mitverantwortlich für unbetreute Flüchtlingsunterkünfte. Diesen Schluss zog der Präsident der Diakonie Bayern, Michael Bammessel, heute auf der Jahrespressekonferenz des Wohlfahrtsverbandes in Nürnberg. „Die Diakonie in Bayern betreut mehr als ein Viertel aller Flüchtlinge im Freistaat – mit einem Personalschlüssel, der deutlich unter den Vorgaben des Freistaates liegt.“ Die entsprechende Förderrichtlinie sieht – je nach Einrichtung - einen Schlüssel von 1:100 bzw. 1:150 vor. „De facto aber beraten unsere Mitarbeitenden im Schnitt 400, in Einzelfällen sogar bis zu 700 Flüchtlinge.“ Der Stellenbedarf, so der Verbandspräsident, sei doppelt so hoch. „Die Staatsregierung trägt durch die ungenügende Förderung eine Mitverantwortung daran, dass es unbetreute Unterkünfte gibt.“
Mit faktisch siebzig Prozent beteiligt sich der Freistaat an den Personalkosten – den Rest, inklusive der Sachmittel, etwa für Büros sowie für Fahrtkosten, müssten die Träger selbst aufbringen. Bammessel: „Das sind bis zu 20.000 Euro pro Stelle – eine Summe, die kaum ein Diakonisches Werk einfach ‚mal so‘ abzwacken kann.“ Die Diakonie wolle zwar den Menschen zur Seite stehen, die Hilfe bräuchten und habe darum die Zahl der Stellen für die Asylsozialberatung von 2011 bis heute von 18 auf 106 mit insgesamt 150 Mitarbeitenden aufgestockt – „mit einem Einsatz von jährlich zwei Millionen Euro an kirchlichen und diakonischen Eigenmitteln.“ Bammessel: „Wir werden weiter aufstocken, wir kommen aber an unsere Grenzen.“
Vor der Presse wies Bammessel erneut auf die Situation in der Bamberger „Ankunfts- und Rückführungseinrichtung (ARE)“ hin. Er begrüßte es, dass „durch Bündelung von Behörden erreicht wird, dass lange stockende Asylverfahren nun endlich in wenigen Wochen durchgeführt werden.“ Er wiederholte allerdings seine Kritik an der Unterbringung der über 1.200 Menschen in der Bamberger ARE. 15 bis 17 Personen seien in 70-Quadratmeter-Wohnungen untergebracht, die praktisch nur aus eng belegten Schlafräumen bestünden. „Für Familien mit kleinen Kindern oder für schwangere Frauen ist das kaum akzeptabel.“
Höhere Investitionen in den sozialen Wohnungsbau forderte der 2. Vorstand der Diakonie Bayern, Dr. Tobias Mähner: „Der Bundesregierung zufolge brauchen wir pro Jahr 350.000 neue Wohnungen – die knapp 30.000 neuen Wohnungen, die Bayern bis 2019 fördern möchte, sind da bei weitem nicht ausreichend.“ Mähner betonte, dass das Bedarf an zusätzlichen Wohnungen nicht vorrangig mit den gestiegenen Flüchtlingszahlen zu tun habe. „Insgesamt haben 30 Prozent der Bevölkerung aufgrund ihres geringen Einkommens Anspruch auf eine Sozialwohnung – gleichzeitig hat sich die Zahl der Sozialwohnungen in Bayern von 1999 auf 2014 nahezu halbiert – auf 130.000.“
Angesichts der drohenden Zunahme von Wohnungslosigkeit forderte Mähner, flächendeckend sogenannte„Fachstellen zur Verhinderung von Obdachlosigkeit“ zu finanzieren. „Wir haben in einer Studie nachgewiesen, dass durch die entsprechende Beratung immense Einsparungen bei den Sozialleistungen möglich sind.“ Allein in Oberbayern und Schwaben würde die Beratungsarbeit der Diakonie Einsparungen von 2,3 Millionen Euro ermöglichen. Der Diakonie-Vorstand bezifferte die bayernweite Summe auf etwa 20 Millionen Euro pro Jahr.
Kritik äußerte die Diakonie am Pflegequalitätsgesetz II, das vor wenigen Wochen in Kraft getreten ist. Birgit Löwe, für die Pflege verantwortliches Vorstandsmitglied des Verbandes, begrüßte es zwar, dass zukünftig der Eigenanteil von Bewohnerinnen und Bewohnern von Altenheimen nicht mehr mit zunehmender Pflegebedürftigkeit steigen werde. Stattdessen soll für jede Einrichtung ein gemittelter Durchschnitt errechnet werden, so dass jeder Bewohner den gleichen Eigenanteil an den Pflegekosten zu zahlen hat – unabhängig vom tatsächlichen Pflegebedarf.
Aber: „Die Konsequenz ist, dass Menschen mit einem geringeren Pflegebedarf zukünftig im Verhältnis deutlich mehr werden zahlen müssen.“ Es werden, so Löwe, „Menschen immer später in ein Pflegeheim ziehen. Ein überproportional hoher Anteil an Bewohnern und Bewohnerinnen mit hohem Pflegebedarf wird dort die Kosten aber noch weiter steigen lassen.“ Löwe sprach in diesem Zusammenhang von einer „fatalen Kettenreaktion.“