„Riesenprojekt“ Pflege Grünen-Politikerin Scharfenberg fordert „Pflege-Bürgerversicherung“

Nürnberg/Rehau, 9. Juli 2013. Im Rahmen der Aktionswochen des bundesweiten Bündnisses für gute Pflege trafen sich am Dienstag, 9. Juli 2013, über 170 fränkische Pflegekräfte, Angehörige und Pflegebedürftige vor dem Mehrgenerationenhaus der Diakonie Hochfranken in Rehau. Von dort aus zogen sie durch den Ort zum Wahlkreisbüro der Grünen-Bundestagsabgeordneten Elisabeth Scharfenberg, um auf die äußerst prekäre Situation in der Pflege aufmerksam zu machen. Scharfenberg, die auch als Sprecherin für Pflegepolitik und Altenpolitik der Bundstagsfraktion ihrer Partei fungiert, versprach, sich für eine grundlegende Wende in der Pflegepolitik einzusetzen.

Die Zukunftsvision von Bianka Walter ist düster, aber leider nicht unrealistisch: Wenn es so weiterginge, werde es in den stationären Pflegeeinrichtungen „wohl eines Tages Zehnbettzimmer geben und ausländische Pflegekräfte und ich verstehe kein Wort“, machte die Pflegekraft aus dem Seniorenhaus in Helmbrechts unter dem Applaus ihrer Kolleginnen und Kollegen die Situation in der Pflege deutlich. Ihre Forderung an Elisabeth Scharfenberg und die Politik im allgemeinen: „Ich will, dass man sich in der Politik einfach mal Gedanken macht, wie Pflege schön, attraktiv und lebenswert sein kann – ohne Druck und immer die Zeit im Nacken“, bündelte Walter, die ihren Beruf als Berufung betrachtet, die Probleme in ihrem Arbeitsbereich, die nahezu komplett auf eine Ursache zurückzuführen sind: unzureichende Finanzierung. Das sieht Martin Abt, Geschäftsführer der Diakonie Hochfranken, ganz ähnlich: „Wir brauchen professionelle Pflege unter ordentlichen Rahmenbedingungen und eine ausreichende Finanzierung. Gute Pflege darf nicht vom Geldbeutel abhängen“, stellte er gegenüber Scharfenberg klar. Dafür, so Abt weiter, müsse die Pflegeversicherung „dauerhaft auf eine solide Grundlage“ gestellt werden, die es erlaube, die entstehenden Kosten „über Pflegesätze und Gebühren refinanziert zu bekommen“. Zudem forderte er mehr Zeit für die Pflegebedürftigen und eine „deutliche“ Anhebung des Personalsschlüssels um „mindestens 10 Prozent“.

 

Elisabeth Scharfenberg griff die Forderungen auf und plädierte – „wir müssen Geld in die Hand nehmen“ - für eine solidarische Finanzierung der Pflege, denn die von der Bundesregierung eingeführte private Zusatzversorgung, besser bekannt als Pflege-Bahr, sei „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Die, denen der Pflege-Bahr etwas bringen würde, könnten sich die Zusatzversorgung nicht leisten und die Reichen bräuchten sie nicht. Scharfenbergs Folgerung: „Wir brauchen eine Pflege-Bürgerversicherung.“ Das sei ein „Riesenprojekt, ähnlich der Energiewende“, und man habe viel zu spät angefangen, räumte sie ein. Lohnen würde sich die solidarische Finanzierung aus Sicht der Grünen aber durchaus. Scharfenberg verwies auf Berechnungen ihrer Partei, wonach ein solches Modell eine „solide Finanzierung“ der Pflege „bis 2055“ ermöglichen würde.

 

Was die Ausrichtung der Pflege angeht, unterstützt Scharfenberg den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, wie er im Ende Juni veröffentlichten Expertenbericht skizziert wird. Die Pflege müsse „weg von der Defizitorientierung und hin zur Teilhabe“, sagte die Gesundheitspolitikerin und betonte: „Dreh- und Angelpunkt ist auch hier die Finanzierung.“

 

Die seitens der Pflegekräfte immer wieder beklagte Überlastung mit Bürokratie ist Scharfenberg ebenfalls ein Dorn im Auge. Es brauche zwar „eine gewisse Dokumentation“, aber man müsse im einzelnen „sehr genau hinschauen“, was wirklich notwendig sei. Als „letzten Schildbürgerstreich“ bezeichnete sie den so genannten „Pflege-TÜV“. Darin werde „nicht die Arbeit, sondern die Dokumentation bewertet“, kritisierte die Grünen-Gesundheitspolitikerin. Sie forderte die Aussetzung des Pflege-TÜVs und die Entwicklung eines neuen Prüfinstruments. Auch das seit Anfang des Jahres geltende Pflegeneuausrichtungsgesetz, das Otto Bayreuther, Geschäftsführer der Diakonie Selb-Wunsiedel, als unsolidarisch gebrandmarkt hatte, möchte Scharfenberg aus eben jenem Grund am liebsten abschaffen. Alles in allem hilft aus ihrer Sicht kein Nachjustieren, sondern nur eine „umfassende Reform“ des Pflege-Systems. Dafür, so Scharfenberg, müsse noch mehr Druck aus dem Pflegebereich kommen: „Machen Sie weiter mit ganz ganz lauter Stimme“, ermunterte sie die Demonstrierenden. „Sie dürfen nicht alles mit sich machen lassen.“