Nürnberg, 19.09.2016 Mit strikter Ablehnung hat die Diakonie Bayern auf den vorgelegten Arbeitsentwurf zur Reform des 8. Sozialgesetzbuches (Kinder- und Jugendhilfegesetz, SGB VIII) reagiert. Anlässlich des Weltkindertages sagte die zuständige Fachvorständin im Diakonischen Werk Bayern, Birgit Löwe: „Wir unterstützen die Überführung der Kinder und Jugendlichen mit Behinderung, die sogenannte ‚Inklusive Lösung‘, in das Kinder- und Jugendhilfegesetz. Der vorgelegte Entwurf geht allerdings in die völlig falsche Richtung. Eine solche Reform – nicht mit uns.“
Erhalten bislang nur Kinder und Jugendliche mit einer seelischen Behinderung Leistungen aus dem SGB VIII, alle Kinder und Jugendliche mit einer anderen Behinderung hingegen aus dem SGB XII (Sozialhilfe), soll dies zukünftig vereinfacht werden: Alle Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung sollen – wie geplant - zukünftig Leistungen aus dem Kinder- und Jugendhilfegesetz erhalten. Dieses Vorhaben erfüllt nun endlich eine jahrelange Forderung der Diakonie Bayern. Allerdings gibt der nun vorliegende Arbeitsentwurf keinerlei konkrete Klarheit bei der Umsetzung des sogenannten inklusiven Vorhabens, außer dass eine Übergangsfrist bis 2023 vorgesehen ist.
Dem vorliegenden Arbeitsentwurf zufolge sollen Kinder und Jugendliche zusätzlich einen individuellen Rechtsanspruch auf Unterstützung und Beratung, aber auch Teilhabeleistungen haben. „Dieser Rechtsanspruch geht zukünftig von den Erziehungsberechtigten auf die Kinder und Jugendlichen über. Dies wird die Rechte der Kinder und Jugendlichen stärken. Und das ist zu begrüßen.“ Allerdings sollen die Entscheidung, wer letztlich welche Leistungen erhält, laut Entwurf die Jugendämter treffen – und hier sollen dann stärker als bislang auch Kostenfaktoren eine Rolle spielen. Löwe: „Geld darf nicht der einzige Maßstab sein, wenn es um angemessene und notwendige Leistungen für Kinder und Jugendliche ohne und mit Behinderung geht.“
Ein reformiertes SGB VIII muss der Fachvorständin der Diakonie Bayern zufolge zudem die Interessen aller Beteiligten angemessen berücksichtigen. Es dürfe nicht sein, dass ein neues Gesetz Kinder und Jugendliche in erster Linie als „hilfe- und therapiebedürftige Klienten“ verstehe. „Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten erkannt, welche Rolle beispielsweise die Familie oder das soziale Umfeld bei der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen spielen, und wie sie selbst beteiligt werden müssen.“ Dies habe sich sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe widergespiegelt.
„Die Kinder- und Jugendhilfe geht darum heute davon aus, dass bei allen Maßnahmen auch die Umgebung der Betroffenen und das System, in dem sie leben, aber auch ihre eigen Mitbestimmung berücksichtigt werden muss.“ Hinter diese Entwicklung dürfe ein neues SGB VIII nicht zurücktreten. „Kinder und Jugendliche sind nicht nur Gegenstände von Therapien. Sie haben Rechte und Ansprüche an die Gesellschaft, in der sie leben. Egal, ob sie eine Behinderung haben oder nicht.“ So lange ein Gesetz die Gleichrangigkeit von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung nicht ausreichend anerkenne, werde die Diakonie es ablehnen.
Löwe fordert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf, einen neuen Entwurf für die geplante SGB-VIII-Reform vorzulegen, an dem die Diakonie und die fachliche Expertise zu beteiligen sind. „Die Diakonie und ihre Fachverbände haben bereits vor längerem ihre Erwartungen an eine Reform des SGB VIII formuliert. Wir bringen sie gerne auch weiterhin in die Diskussion ein.“ Das BMFSFJ selbst sieht in der Reform einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und des Ziels der Inklusion.