Nürnberg, 09.07.2018 Für eine intensivere Begleitung von Straffälligen in den letzten Monaten der Haft sowie in der Zeit nach der Entlassung haben sich die Diakonie Bayern und die Evang.-Luth. Kirche in Bayern ausgesprochen. „Der Übergang von der Haft in die Freiheit hat einen wesentlichen Einfluss auf eine gelingende Wiedereingliederung von haftentlassenen Menschen,“ sagte der Präsident der Diakonie Bayern, Michael Bammessel, jetzt beim Fachtag „Was wirkt im Übergangsmanagement?“ im Münchner Justizpalast. „Deshalb muss aus unserer Sicht, bereits am ersten Tag der Inhaftierung eine vielfältige Entlassungsvorbereitung beginnen.“
Der Weg für Martin (Name geändert) schien vorgezeichnet: Zehn Monate hatte er hinter Gittern verbracht. Draußen wartete niemand mehr auf ihn; seine Freundin und Mutter seines Sohnes hatte ihn schon vor dem Haftantritt verlassen. Eine Stelle, eine eigene Wohnung, kurz: Ein geregeltes Leben nach dem Knast – Fehlanzeige. Hätte es nicht den Sozialdienst in der Justizvollzugsanstalt und die Mitarbeitenden der freien Straffälligenhilfe gegeben. Schon vor der Entlassung wurden die verschiedenen „Baustellen“ bearbeitet: Die Suche nach einer Stelle und einer Wohnung, die Anbahnung des Kontaktes zum Kind. Auch zur Zimmerbesichtigung und zum Jobcenter begleitete ihn die Diakonie.
Diakoniechef Bammessel zufolge zeigt dieses Beispiel, wie intensives Übergangsmanagement gelingen kann: „Es geht um eine gezielte Entlassungsvorbereitung, gut funktionierende Netzwerke zwischen Strafvollzug und Straffälligenhilfe, effektive Kooperationen mit unterschiedlichen Akteuren und vor allem um die gelingende Koordinierung der Hilfen und Vernetzung von verschiedenen Stellen.“ Beim Übergangsmanagement gehe es, kurz gesagt, einerseits um betroffene Menschen in Haft und anderseits um die Strukturen im System des Strafvollzugs und der Straffälligenhilfe.
Der für Diakonie und gesellschaftliche Aufgaben zuständige Oberkirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Detlev Bierbaum, betonte darum: „Um wieder eine gesicherte Existenz in unserer Gesellschaft zu ermöglichen, muss ja nicht nur die Tat selbst reflektiert werden. Eine ausschlaggebende Rolle spielen die Beziehungen des Täters - zu anderen, zur Familie, zur Tat, zu sich selbst. Auch darum kann der seelsorgerische Moment in der Straffälligenhilfe nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es geht um ein Zusammenwirken aller Fachddienste mit der Seelsorge.“ Nicht zuletzt könne eine entsprechende Begleitung auch den gefürchteten „Drehtüreffekt“ verhindern.
Wie wichtig dies sei, beschrieb Michael Bammessel aus Sicht der Diakonie: „Unsere Mitgliedseinrichtungen berichten, dass viele Gefangene gerade in den ersten Tagen, Wochen und Monaten nach ihrer Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt große Schwierigkeiten haben, wieder Fuß zu fassen.“ Die Suche nach Wohnung und Arbeit sowie mangelnde tragfähige Kontakte erschweren der Diakonie zufolge die Wiedereingliederung. Der Diakoniepräsident weiter: „Zwar ist die Zahl der Strafgefangenen im Freistaat im Zehn-Jahres-Vergleich von 2007 auf 2017 deutlich gesunken. Dennoch haben wir im vergangenen Jahr wieder einen Anstieg um etwa 800 Häftlinge bzw. 0.9 Prozent zu verzeichnen gehabt.“ Der Bedarf an weiterer adäquater sozialer Beratung und entsprechenden Wohnformen steige darum an.
Wie wichtig das Übergangsmanagement sei und welchen Erfolg es haben kann, hat bereits 2016 eine bundesweite Rückfalluntersuchung gezeigt,. Die überwiegende Zahl der Rückfalltaten ereignet sich demzufolge innerhalb der ersten drei Jahre, die Hälfte sogar innerhalb des ersten Jahres nach Verurteilung oder Entlassung – also im möglichen Zeitraum eines Übergangsmanagements. Im Zeitraum zwischen drei und sechs Jahren nach der Entlassung steigt die Rückfallquote von 35 Prozent auf 44 Prozent. Im Verlauf weiterer drei Jahre hingegen steigt sie nur noch gering an - um weitere rund 3 Prozent auf 48 Prozent.
Bammessel wies allerdings auch auf die begrenzte Finanzierungs- und Planungssicherheit im Übergangsmanagement hin. „Wir brauchen eine auskömmliche Finanzierung der Angebote im Übergangsmanagement, der Schuldner- und Suchtberatung in der JVA sowie ausreichende Personalkapazitäten beim Sozialdienst im Justizvollzug.“ Das Arbeitsfeld der freien Straffälligenhilfe sei im Vergleich zu anderen sozialen Arbeitsfeldern durch große Finanzierungsunsicherheiten und einem hohen Eigenmitteleinsatz der Träger wie der Diakonie gekennzeichnet.
In den letzten Jahren habe sich der Freistaat Bammessel zufolge in diesem Bereich aber auch stark engagiert: "Im Übergangsmanagement arbeiten der Sozialdienst im Justizvollzug und die Freie Wohlfahrtspflege mittlerweile eng zusammen, und inzwischen werden auch – im begrenzten Umfang – vom Bayerischen Sozialministerium finanzielle Mittel für das Übergangsmanagement zur Verfügung gestellt.“
Martin hat mittlerweile übrigens wieder eine Stelle gefunden. Mit dem Lohnnachweis ist es ihm auch gelungen wieder eine Wohnung zu finden. Und seinen Sohn sieht er auch wieder regelmäßig.
Auf der Fachtagung „Übergangsmanagement“, in Kooperation mit dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz, veranstaltet von der Diakonie Bayern, dem Fachverband Evangelische Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe (FEWS), der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und sowie der Evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge in Bayern, tauschten sich über 100 unterschiedliche Akteure von Justizvollzug, Gefängnisseelsorge, Bewährungshilfe, der Freien Straffälligenhilfe sowie Jobcenter und Agentur für Arbeit aus. Im Mittelpunkt standen Best Practice Beispiele sowie aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen im Übergangsmanagement.
Die Diakonie in Bayern unterhält unter anderem 11 stationäre und 3 teilstationäre Einrichtungen der Straffälligenhilfe, fünf Dienste für ambulantes Wohnen, acht Fachberatungsstellen der Straffälligenhilfe sowie vier Fachstellen zur Vermittlung gemeinnütziger Arbeit („Schwitzen statt Sitzen“) sowie für Täter-Opfer-Ausgleich.