Familienpflege. Der vergessene Dienst in der Keimzelle der Gesellschaft

Nürnberg, 28. Dezember 2012. Alle finden sie gut und wichtig, aber kosten darf sie nichts. Was schon für die Pflege allgemein gilt, trifft auf die Familienpflege noch wesentlich härter und deutlicher zu. Die Vergütung entspricht nicht den Kosten, die Zeitbudgets für Leistungen sind viel zu knapp, und Familien in Not haben keinen umfassenden Rechtsanspruch auf Familienpflege. Dazu kommt noch die seit längerem herrschende Unklarheit bezüglich der genauen Förderhöhe des Landeszuschusses. Eine flächendeckende Unterstützung auf kommunaler Ebene fehlt ohnehin. Die Folge: Die Dienste der Familienpflege kämpfen vielerorts ums nackte Überleben. Leidtragende sind letztlich die Familien, die dringend Hilfe benötigen. „Gerade im Familienland Bayern ist das ein unhaltbarer Zustand“, kritisiert der bayerische Diakoniepräsident Michael Bammessel und fordert „eine grundlegende Aufwertung der Familienpflege“ von den Verantwortlichen auf Seiten der Politik und der Krankenkassen.

Ihr Name tut nichts zur Sache, denn sie ist kein Einzelfall. Sie hat fünf Kinder. Das jüngste ist gerade erst drei Monate alt. Drei Wochen vor der Geburt des Babys ist ihr Mann plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben. Ihr eineinhalbjähriger Sohn schläft seit dem Tod des Vaters nicht mehr durch, das Baby ohnehin noch nicht. Zwei Stunden Schlaf am Stück bleiben ein Traum. Tagsüber beansprucht der große Haushalt Zeit und Kraft. Wenn die älteren Kinder aus der Schule kommen, ist Essen, Hausaufgabenbetreuung und oft genug noch mehr gefordert. Trauer, Aufarbeitung bleiben Gedanken, die mangels Zeit noch nicht einmal zu Ende gedacht, geschweige denn realisiert werden können. Die Frau steht vor dem körperlichen und psychischen Zusammenbruch. Hilfe hat sie trotzdem nicht oder nur in unzureichender Form bekommen. Die Krankenkasse bezahlte erst nur eine Haushaltshilfe, die mit der Familiensituation völlig überfordert war, und nach einer Intervention der Schwangerenberatungsstelle gerade einmal drei Wochen lang drei Stunden Familienpflege pro Tag. Eine wirklich tiefgreifende Entlastung bringt das nicht.

 

Die vielfach proklamierte Familienfreundlichkeit des Freistaats hat enge Grenzen. Sie sind schon erreicht, wenn das Familienmitglied, das für die Betreuung und Versorgung der Kinder zentral ist – meist also immer noch die Mutter – krankheitsbedingt ihre Rolle in der Familie nicht mehr oder nur noch zum geringen Teil ausfüllen kann. Eigentlich wäre das ein klarer Fall für die Familienpflege. Aber ein gesetzlicher Anspruch auf Familienpflege besteht nur bei stationärer Behandlung und rund um Schwangerschaft und Geburt. Bei ambulanter Behandlung oder wenn die Mutter nach einer Operation oder zwischen den Behandlungszyklen einer Chemotherapie zu Hause noch nicht wieder für ihre Kinder sorgen kann, ist Haushaltshilfe eine so genannte „Satzungsleistung“, soll heißen: Sie ist freiwillig. Ob und in welchem Umfang sie gewährt wird, unterliegt dem Gutdünken der Krankenkasse. Zuletzt haben die gesetzlichen Krankenkassen die freiwilligen Leistungen in Sachen Familienpflege/Haushaltshilfe teils erheblich eingeschränkt.

 

Die Definition des Attributs „ambulant“ reicht zudem weit. Auch wenn die kranke Mutter im Hospiz ist, werten das die meisten Kassen bisher als ambulante Behandlung, ein gesetzlicher Anspruch auf Familienpflege besteht also auch hier nicht. Mütter, die unter einer chronischen Erkrankung leiden, bekommen ohnehin keine familienpflegerischen Leistungen gewährt.

 

Zwar wurde mittlerweile im Rahmen des Versorgungsstrukturgesetzes erreicht, dass Familienpflege nicht mehr nur als „Kann“-Leistung, sondern als „Soll“-Leistung der Krankenkassen (§38,Abs. 2 SGB V) definiert wurde. Eine Verbesserung bei den Satzungsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen hat sich jedoch bisher daraus nicht ergeben. Nicht einmal die umfassende Aufklärung der Betroffenen über ihren Leistungsanspruch im Krankheitsfall ist in der derzeitigen Praxis Standard, und auch von Antragstellung bis zur Genehmigung vergeht oft viel zu viel wertvolle Zeit.

 

Auf der anderen Seite ist die Familienpflege chronisch unterfinanziert. Dem seit 2005 unverändert geltenden Stundesatz der Primärkassen in Höhe von 21 Euro 60 stehen tatsächliche Kosten von rund 35 Euro pro Fachleistungsstunde einer staatlich anerkannten Familienpflegekraft gegenüber. Noch größer fällt dieser Unterschied bei den Ersatzkassen aus: Sie zahlen seit Januar 2012 einen Vergütungssatz von 21 Euro 36 pro Fachleistungsstunde. Vorher waren es sogar nur 19 Euro 59.

 

Die Bezuschussung der Familienpflege durch den Freistaat drohte einige Monate lang sogar komplett wegzufallen. Nachdem die Förderrichtlinie zur Förderung von Familienpflege in Bayern 2010 ausgelaufen war, herrschte zunächst vier Monate lang Unklarheit darüber, ob und wie es mit der staatlichen Unterstützung überhaupt weitergehen würde. Erst im Mai des Folgejahres wurde die neue Förderrichtlinie veröffentlicht, die bis Ende 2014 gilt. Die darin enthaltenen Neuerungen bringen jedoch weitere Probleme mit sich. So gelten ab jetzt nicht mehr die tatsächlichen Personalkosten, sondern es werden Personalkostenpauschalen veranschlagt. Die Mittel fließen auch nicht mehr zu Jahresbeginn, sondern erst zum 1. Juli und lediglich zu 90 Prozent. Für nicht wenige Einrichtungen und Dienste kann das eine höchst problematische Liquiditätssituation zur Folge haben. Durch die Intervention der Landtagsfraktionen von CSU, SPD, Bündnis90/Die Grünen, FDP und FW sowie der Kinderkommission des Bayerischen Landtags wurde die Förderung für Familienpflege prinzipiell gesichert. Nach einem intensiven Anhörungsverfahren wurden die Personalkostenpausschalen mit Schreiben vom 8. März 2012 in angemessener Höhe festgesetzt. Da der Verwendungsnachweis 2011 noch nicht geprüft ist und die Fördermittel für 2012 bisher nicht bewilligt sind, kann derzeit aber noch nicht abschließend festgestellt werden, ob die Änderung der Förderrichtlinie und ihre Durchführungsbestimmungen negative Auswirkungen auf die Förderhöhe haben werden. Wichtig wäre in jedem Fall, dass die Bayerische Staatsregierung den Landeszuschuss für Familienpflege im Rahmen des Netzwerks Pflege, über den 31. Dezember 2014 hinaus sicherstellt.

 

Auf kommunaler Ebene ist die Förderung der Familienpflege lediglich eine freiwillige Leistung. Auch auf Grund der schwierigen finanziellen Situation, in der sich viele Städte und Gemeinden befinden, gibt es keine flächendeckende kommunale Bezuschussung, obwohl gerade Kommunen von der Familienpflege profitieren, wenn durch die Stabilisierung des Systems Familie hohe Folgekosten, beispielsweise in der Jugendhilfe, vermieden werden.

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Daniel Wagner Pressesprecher