„Die Leidtragenden sind die Flüchtlingskinder“

Diakonie Bayern sieht Widerspruch in den Zielen der Bundesregierung

Nürnberg, 10.9.2015 Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert eine schnelle Integration der Flüchtlinge. Zugleich soll aber die mögliche Aufenthaltsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen auf bis zu sechs Monate nach der Annahme des Asylantrags verlängert werden. „Dies ist ein offensichtlicher Widerspruch“, sagt Dr. Tobias Mähner, 2. Vorsitzender des Vorstands des Diakonischen Werkes Bayern. „Alle Erfahrungen aus der Flüchtlingsarbeit belegen, dass Integration erst richtig beginnen kann, wenn Asylsuchende und Flüchtlinge sich länger an einem Ort niederlassen und Kontakte knüpfen können. In den Erstaufnahmeeinrichtungen leben die Bewohner/innen dagegen in weitgehender sozialer Isolation von der Außenwelt. Vor allem die Flüchtlingskinder sind hiervon betroffen.“

Für Bayern hat die Maßgabe der Bundesregierung gravierende Auswirkungen. Die Schulpflicht für Flüchtlingskinder setzt in Bayern nach drei Monaten ein. Die Dreimonatsfrist war damit begründet worden, dass die Kinder erst nach dem Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung, wenn sie an ihrem endgültigen Aufenthaltsort angekommen sind, eingeschult werden sollen. Nun plant die Bundesregierung aber eine Verlängerung der Aufenthaltszeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen auf sechs Monate. Dazu Dr. Mähner: „Diese Entscheidung hat fatale Auswirkungen. Denn für die rasche Integration der Kinder ist eine möglichst zeitnahe Einschulung von großer Bedeutung. Je schneller sie die deutsche Sprache erlernen und mit Gleichaltrigen in Kontakt kommen, desto einfacher wird es für sie, sich in unserem Land ein neues Leben aufzubauen.“

Der leitende Jurist der bayerischen Diakonie verweist auf die Probleme bei der Umsetzung der neuen Regelung: „Entweder man mutet der Sprengelschule, zu deren Gebiet die Erstaufnahmeeinrichtung gehört, einen ständigen Wechsel von Schülern zu, die nur für wenige Wochen am Unterricht teilnehmen können. Oder man lässt Heranwachsende für ein halbes Jahr ganz ohne Unterricht – und trifft damit Kinder, die ohnehin durch die Flucht große Bildungsrückstände haben“, so Tobias Mähner.

Die Lebensbedingungen in den Erstaufnahmeeinrichtungen, so Dr. Mähner, seien nicht dafür geeignet, um den Flüchtlingskindern zu helfen. Die erschöpften, vielfach auch traumatisierten Kinder brauchten Ruhe und Erholung, Raum zum Spielen und die Möglichkeit, tragfähige soziale Kontakte aufzubauen. Sie benötigten gegebenenfalls auch psychotherapeutische Begleitung, um die belastenden Erfahrungen der Flucht zu verarbeiten und um sich gut entwickeln zu können.

Dr. Mähner resümiert: „Die Aufenthaltszeit auf sechs Monate auszuweiten, erschwert die Integration nachhaltig. Gerade für Kinder, die unsere besondere Fürsorge brauchen, sind die Lebensbedingungen in den überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen besonders schwer zu ertragen. Es sollte das politische Ziel sein, die Flüchtlingskinder so rasch wie möglich aus den Erstaufnahmeeinrichtungen zu bringen und weiter zu verteilen, um ihnen baldmöglichst ein soziales Umfeld zu bieten, in dem sie sich positiv entwickeln können.“