Armut hat viele Gesichter. Bahnhofsmissionen legen Jahresstatistik vor

Nürnberg/München Zwei von drei Gästen sind von Armut betroffen: Die Bahnhofsmissionen in Bayern betreuen immer mehr finanziell in Not geratene Menschen. Fast 260.000 Mal nahmen Hilfesuchende 2014 die unbürokratische Unterstützung der Bahnhofsmissionen in Anspruch, darunter 60 Prozent Frauen und Männer in finanziellen Schwierigkeiten, teilten heute die katholischen und evangelischen Einrichtungen mit. Dies sind rund 16 Prozent mehr als noch im Vorjahr.

Die 320 haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden erbrachten fast eine halbe Million Hilfeleistungen. Darunter waren neben der Ausgabe von Tee und Brot 52 100 materielle Hilfen, Tendenz steigend. „Besonders ab Mitte des Monats wird die prekäre Situation vieler Gäste in den bayerischen Bahnhofsmissionen deutlich spürbar: dann steigt ihre Zahl deutlich an“, so Hedwig Gappa-Langer von der Arbeitsgemeinschaft der kirchlichen Bahnhofsmissionen in Bayern.

 

Die Armut hat viele Gesichter - und wird immer bürgerlicher. "Viele Menschen, die zu uns kommen, sind auf den ersten Blick äußerlich nicht auffällig", sagt Michael Lindner-Jung, Leiter der Würzburger Einrichtung, "und doch fehlt es bei näherem Hinsehen an allen Ecken." Das aus seiner Erfahrung Verhängnisvolle: "Finanzielle Not macht nicht einfach nur das Leben schwerer, sie drängt die Betroffenen auch ins soziale und gesellschaftliche Abseits." Es fehle schlichtweg das Geld, um teilhaben und mithalten zu können. Für ihn ist jede Sachleistung daher auch ein wichtiges Kommunikationsmittel: "Eine Scheibe Brot puffert vielleicht die akute Not ab. Mindestens genauso dringend brauchen die Menschen aber Aufmerksamkeit und Wertschätzung.” Die meisten Besucherinnen und Besucher sehen sich gleich mehreren Problemen gegenüber: viele sind arbeitslos oder haben nur eine kleine Rente, andere sind (sucht)krank, einsam und psychisch belastet oder ohne festen Wohnsitz.

 

Und ohne jede Perspektive. Letzteres macht sich, wie auch die Leitungen anderer Bahnhofsmissionen bestätigen, verstärkt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bemerkbar. Oft ohne familiären Rückhalt, Ausbildung und Wohnung, “haben sie sich ein Stück weit aus dem ´normalen´ Leben verabschiedet”, so Lindner-Jung, “aus ihrer Sicht ist die Lage aussichtslos.”

 

In den Bahnhofsmissionen treffen sich Menschen, deren Leben irgendwann aus dem Ruder gelaufen ist. Wer erzählen will, erzählt. Wer sich ausruhen will, ruht sich aus. Es gibt keinen Zwang. Das ist das Prinzip der 13 größtenteils ökumenisch geführten Einrichtungen im Freistaat: Sie helfen jedem, gratis, ohne Erwartungen und ohne Anforderungen zu stellen. “Wir sind die Feuerwehr, wir löschen schnell”, bringt es Dagmar Kunkel-Epple, Leiterin der Augsburger Station, auf den Punkt. Die Zahl der Kontakte ist hier binnen eines Jahres um über 60 Prozent auf 12 515 angestiegen. Bei über 85 Prozent der Gäste herrschte – spätestens ab der Monatsmitte - Ebbe im Geldbeutel. Die Zahl der materiellen Hilfe stieg von rund 6 000 auf fast 9 000, “das ist Wahnsinn, wie sich der Bedarf entwickelt hat.”

 

Zum Monatsende wird es auch in der Bahnhofsmission Passau noch voller als sonst. “Da haben wir oft früh um 9 Uhr schon 25 bis 30 Gäste”, erzählt Angelika Leitl-Weber vom Leitungsteam. Darunter sind Endfünfziger ohne festes Einkommen genauso wie junge Suchtkranke, die sich kein Frühstück leisten können oder Obdachlose, die einen ruhigen Platz suchen. “Bezahlbarer Wohnraum ist unheimlich schwer zu bekommen”, so Leitl-Weber, “deshalb leben viele unserer Besucherinnen und Besucher auf der Straße oder schlüpfen irgendwo unter. Was wir bieten können ist ein verständnisvolles Gespräch, eine  Tasse Kaffee oder einen Ort zum Aufwärmen. Häufig vermitteln wir für weitergehende Hilfen an Fachberatungsstellen oder Behörden weiter.“

 

Wie in vielen Bahnhofsmissionen ist auch in Augsburg die Not von Zuwandernden ein großes Thema. „Natürlich kommen zu uns nur die Menschen, die keine Arbeit finden können, ausgebeutet werden und in der Folge wohnungslos sind“, so die Leitung. Die Zahl der Kontakte zu Menschen mit Migrationshintergrund, die sich hilfesuchend an die bayerischen Bahnhofsmissionen wenden, ist im vergangenen Jahr weiter auf etwa 113 000 angestiegen – allein 89 000 Kontakte gab es in München.

 

Zusammenfassend stellen Hedwig Gappa-Langer, Referentin der katholischen Bahnhofsmissionen beim Landesverband IN VIA und ihr Kollege Michael Frank vom Diakonischen Werk Bayern fest, dass die wachsenden Armutsprobleme in Deutschland und Europa die Arbeit der Bahnhofsmissionen auch im letzten Jahr stark geprägt haben. „Mancherorts wird auch eine Konkurrenz zwischenzuwandernden und hier lebenden notleidenden Menschen spürbar, mit der die Mitarbeitenden sensibel umgehen müssen“, beschreibt Frank die aktuelle Entwicklung.

 

Die Bahnhofsmissionen sind als niederschwellige Einrichtungen an dem zentralen Ort Bahnhof in der Regel erste und leider oft auch letzte Anlaufstelle für Hilfesuchende. Sie versuchen zu helfen, wo andere Einrichtungen, die Menschen oft nicht mehr erreichen. „Die meist ehrenamtlichen Mitarbeitenden haben hier einen äußerst schwierigen Job zu machen und werden Tag für Tag mit existentiellen Problemen konfrontiert,“ so Hedwig Gappa-Langer. Doch fehlt dafür häufig eine angemessene finanzielle und damit auch personelle Ausstattung. „Auch die Bahnhofsmissionen arbeiten vielerorts unter widrigen Bedingungen“, fasst sie die Situation zusammen.

 

Kontakt für Rückfragen:

Hedwig Gappa-Langer

Referat Bahnhofsmission bei IN VIA Bayern e.V.

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Daniel Wagner Pressesprecher