Anti-Folterstelle prüft Pflege. Diakonie Bayern verwahrt sich gegen pauschalen Folterverdacht

Nürnberg, 29. November 2012. Die nationale Anti-Folterstelle soll demnächst, so ließ es das bayerische Sozialministerium unlängst verlauten, auch Alten- und Pflegeeinrichtungen überprüfen. Aus Sicht der bayerischen Diakonie und des ihr zugehörigen Fachverbands Evangelische Altenhilfe in Bayern (FEA) ist diese Maßnahme zum einen unnötig, weil die Einrichtungen auch hinsichtlich freiheitsentziehender Maßnahmen bereits gründlich geprüft werden. Zum anderen skandalisiere „die mögliche Untersuchung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter die Altenpflege und die dort Beschäftigten in einem unerträglichen Maß“, ärgert sich Tobias Mähner, 2. Vorstand des Diakonischen Werks Bayern.

„Das Engagement der Anti-Folterstelle ist eine ungeheure Rufschädigung für die stationäre Pflege und ein weiterer Schlag ins Gesicht unserer Pflegekräfte, die ohnehin schon massiv unter der weitgehenden Untätigkeit der Politik zu leiden haben“, empört sich auch FEA-Geschäftsführerin Renate Backhaus. Die stationären Einrichtungen der Diakonie seien in erster Linie „Orte des Lebens und Wohnens“.

 

Die so genannten „freiheitsentziehenden Maßnahmen“ haben aus Sicht der Pflegeexpertin grundsätzlich nichts mit Folter zu tun, sondern mit dem Schutz von gerontopsychiatrisch schwer erkrankten Menschen. In geschlossenen Wohnbereichen werden BewohnerInnen, die beispielsweise an einer weit fortgeschrittenen Alzheimererkrankung leiden, sicher und mit viel Zuwendung begleitet. Diese Menschen wissen nicht mehr, wer sie sind, wo sie sind, welcher Tag und welche Uhrzeit gerade ist und was sie anziehen müssen, um für die herrschenden Witterungsverhältnisse gewappnet zu sein. „Für solche Menschen, die unter einem kompletten Ich- und Orientierungsverlust leiden, kann ein unbegleiteter Ausflug nach draußen mit schweren Verletzungen oder gar tödlich enden“, erklärt Backhaus. Ab einem gewissen Stadium demenzieller Erkrankungen sei die Unterbringung in einem geschlossenen Wohnbereich die einzige Möglichkeit - und auch die letzte, denn: „In jedem unserer Häuser wird versucht, die Pflegebedürftigen so lange wie möglich integrativ leben zu lassen.“

 

Maßnahmen wie Bettgitter oder Bauchgurte zum Schutz vor Stürzen sind im Bereich der Diakonie längst auf dem Rückzug. „Wir unterstützen den Werdenfelser Weg“, versichert Backhaus. Nach diesem vom Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen entwickelten interdisziplinären Ansatz wird auf Fixierungen weitestgehend verzichtet. Statt Gittern und Gurten setzt man beispielsweise auf Niederflurbetten, um das gefährliche Fallen aus dem Bett zu entschärfen. Allerdings erfolgt die Umstellung schrittweise und dauert entsprechend. „Solche Maßnahmen kosten Geld, und davon haben unsere chronisch unterfinanzierten Einrichtungen nicht genug“, kritisiert Backhaus. „Wenn die Politik wirklich die Lebensqualität von schwerst pflegebedürftigen Menschen verbessern wollte, müsste sie solche Maßnahmen konsequent unterstützen.“

 

Die Prüfungen durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter würden zudem einen erheblichen zusätzlichen bürokratischen Aufwand von den Pflegekräften fordern. Erfahrungen aus der Jugendhilfe zeigen, dass eine solche Prüfung mindestens einen Tag lang dauert. „Dabei werden die Punkte, die durch die Anti-Folterstelle untersucht werden sollen, schon längst, und ebenfalls unangemeldet und regelmäßig, von der Fachstelle für Qualität und Aufsicht (FQA) überprüft“, sagt Backhaus. In deren 276 Seiten dickem Prüfleitfaden behandelt unter anderem ein ganzes Kapitel den „Umgang mit Freiheit einschränkenden Maßnahmen“. Angesichts dessen fragt die FEA-Geschäftsführerin: „Warum kann die Anti-Folterstelle nicht einfach zunächst die Prüfberichte der FQA sichten, bevor sie willkürlich Pflegekräften die Zeit für ihre eigentliche Arbeit raubt?“

 

Letztere ist ohnehin schon knapp, daran ändert auch die Aufstockung des Personalschlüssels nach dem Pflegeneuausrichtungsgesetz ab Januar 2013 von 1:25 auf 1:24 nichts. Bei 100 BewohnerInnen macht das 57 Minuten mehr Zeit in 24 Stunden. Pro Person ergibt das einen Zugewinn von knapp über eine halbe Minute. Das sei schlicht „lächerlich“, meint Backhaus und fordert die Politik auf, in diesem Bereich erheblich nachzubessern. Denn: „Je mehr Pflegekräfte, desto höher die Qualität – und desto geringer die Wahrscheinlichkeit von Pflegefehlern.“