Ambulante Pflege. Diakonie Bayern fordert Rückkehr zum solidarischen Gebührensystem

Nürnberg, 14. Juni 2013. Die Lage in der ambulanten Pflege wird immer prekärer. Schuld daran ist zusätzlich zur ohnehin unzureichenden Finanzierung ambulanter Pflegeleistungen durch die Kassen die im Pflegeneuausrichtungsgesetz (PNG) vorgesehene Wahlmöglichkeit der Pflegebedürftigen zwischen Leistungskomplexen und Zeitleistungen. Die Kassen sehen sich nicht in der Lage, die dadurch für die Pflegedienste zu erwartenden massiven Verluste ausreichend gegen zu finanzieren. Mitte Mai sind die Verhandlungen mit den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege und der privaten Träger gescheitert. „Wir können unsere Pflegedienste nicht sehenden Auges in ein finanzielles Desaster rutschen lassen“, begründet Dr. Tobias Mähner, 2. Vorstand der Diakonie Bayern, die Abkehr der Wohlfahrtsverbände vom Verhandlungstisch.

Im seit Januar geltenden PNG ist eine Wahlmöglichkeit der Pflegebedürftigen zwischen den bisher üblichen Leistungskomplexen und den neu einzuführenden Zeitleistungen vorgesehen. Das Konzept wirkt auf den ersten Blick schlüssig: Pflegebedürftige sollen täglich neu entscheiden können, ob sie eine pauschal und zeitunabhängig berechnete Komplexleistung in Anspruch nehmen wollen oder nach Zeitaufwand berechnete Einzelleistungen. Genauer betrachtet wird damit jedoch die bisher solidarische Finanzierung von Pflegeleistungen durchbrochen. Große Verlierer des Systemwechsels wären unter den derzeitigen Voraussetzungen die schwerkranken, höchst pflegebedürftigen Menschen. Denn wer lediglich Leistungen in geringerem Umfang braucht, fährt mit einer Abrechnung nach Zeit wesentlich günstiger.

 

Insgesamt steht damit das bisherige System auf der Kippe, das mittels pauschalierter Vergütungen für Leistungskomplexe einen solidarischen Ausgleich zwischen aufwendigem und weniger aufwendigem Pflegebedarf herstellt. Denn von der in der Präambel zum PNG formulierten Kostenneutralität kann keine Rede sein. Berechnungen der Wohlfahrtsverbände ergeben: Eine Steigerung der bisherigen Gebührensätze um 27 Prozent wäre notwendig, damit die von der Einführung der Zeitleistungen verursachten Verluste ausgeglichen werden können. Draufzahlen müssen die Patienten mit großem Pflegezeitbedarf, die zudem bedingt durch die Kostensteigerung immer zahlreicher auf Sozialhilfe angewiesen sein werden. Dieser Umstand und die Deckelung der Sachleistungsbeträge in den einzelnen Pflegestufen belasten wiederum die örtlichen Sozialhilfeträger. „Alles in allem würde sich also ambulante Pflege für die Mehrzahl der Beteiligten empfindlich verteuern, ohne dass damit irgendein Qualitätsgewinn verbunden wäre“, resümiert Mähner.

 

Eng wird es aber auch für die ambulanten Pflegedienste. Schon unter den derzeitigen Rahmenbedingungen ist es kaum möglich, wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Wird die Option auf Zeitleistungen eingeführt, muss aus Sicht der Wohlfahrtsverbände der Stundensatz für Pflegefachkräfte auf 46,24 Euro angehoben werden, der Stundensatz für Betreuung auf 38,33 Euro und der für hauswirtschaftliche Leistungen auf 30,42 Euro.

 

„Für uns ist offensichtlich, dass an einer Änderung des PNG kein Weg vorbeiführt, wenn ambulante Pflege nicht völlig unnötig, und damit unsinnig verteuert werden soll. An dieser Stelle ist der Gesetzgeber, also die Politik, gefragt“, sagt Mähner. Die bayerische Diakonie fordert bis auf Weiteres die Beibehaltung des bisherigen solidarischen Systems der Leistungskomplexe. „Zusätzliche Mittel müssen allerdings dennoch ins System“, fordert der Diakonie Bayern-Vorstand, „aber bitte zur Finanzierung angemessener Gehälter und zur Steigerung der Pflegequalität.“